Über das Haben
HABEN ein Verb, das den Subjekten auch deshalb so gerne Objekte im Plural zuführt, weil es in jeder Situation so vieles und so viel Verschiedenes gibt, das zum Subjekt «dazu gehört» oder «dazu gehören soll». «Man» versteht daher, dass auf dem Hof des HABENS immer viele Leute zu sehen sind, die sich mit allerhand «Zeug» zu schaffen machen.
Diese Leute sind nun in erster Linie die verschiedenen Personen, die ein Subjekt als dessen mögliche Objekte umgeben, insofern sie in irgendeiner Hinsicht dazugehören. Das sind im familiären und sozialen Zusammenleben primär diejenigen Personen, die mit guten Gründen die «Angehörigen» genannt werden. Denn primär insofern wir Vater und Mutter HABEN , in vielen Familien auch Geschwister, Kinder und Verwandte dazu, HABEN wir ein Dasein, in dem sich trotz aller Endlichkeit und Endlichkeitsfolgen für viele Menschen (leider für viele auch nicht) wohnlich leben lässt. Auch gute Freunde, freundliche Nachbarn und hilfreiche Gefährten, die «man» im Glücksfall an seiner Seite HAT , gehören dazu, weit mehr jedenfalls als irgendein «Zubehör» nützlicher oder erfreulicher Sachen. Eine solche personale Zugehörigkeit kann sich daher, so steht zu erwarten, als dasjenige HABEN erweisen, das dem DASEIN am nächsten kommt und ihm manchmal zum Verwechseln ähnlich sieht. Es wird folglich wohl dabei bleibenmüssen, mit Heidegger im DASEIN ein Sein zum Ende oder zum Tode zu sehen. Doch können in dieser Endlichkeit den Menschen manche Helfer mit mancherlei Hilfe zur Seite stehen, vorausgesetzt allerdings, es bleibt ihnen dazu die ZEIT .
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Die dritte und zugleich wichtigste Kontaktstelle für die Kategorie HABEN wollen wir in der Präposition «vor» erkennen, die bei Heidegger – zusammen mit dem von ihr abgeleiteten Adverb «vorweg» – mit einer starken existenziellen Bedeutung aufgeladen ist. Denn, so Heidegger, «das
vor
und
vorweg
zeigt die Zukunft an.» Die maßgeblichen Formulierungen zu diesem futuristischen Thema stehen in den Erörterungen zur «Sorge» im Kontext der Zeitlichkeit. Dort finden sich auch weitere verbale oder nominale Ausdrücke, mit denen der Autor eine Verbindung herstellt zwischen «vor» oder «vorweg» einerseits und verschiedenen Ausdrücken der Leiblichkeit und des körperlichen Handelns andererseits, zum Beispiel:
– die Vorgabe von Möglichkeiten der Existenz
– das Vorwegnehmen des ganzen Daseins
– das primäre Moment der Sorge, das Sich-vorweg
– Phänomenal ursprünglich wird die Zeitlichkeit erfahren am eigentlichen Ganzsein des Daseins, am Phänomen der vorlaufenden Entschlossenheit.
In diesem existenziellen Zusammenhang prägt Heidegger auch den für ihn offenbar nicht unwichtigen Neologismus der « VORHABE » (als feminine Form unbedingt zu unterscheiden von dem geläufigen Neutrum des VORHABENS ). Welches genau der methodologische Ort ist, an dem in dieser Existenz-Analytik die VORHABE ihre Aufgabe zu erfüllen hat, ergibt sich aus dem folgenden Textabschnitt am Anfang des Paragraphen 63, der über die «vorlaufende Entschlossenheit» des Daseins unterrichten will:
Das Dasein ist ursprünglich, das heißt hinsichtlich seines eigentlichen Ganzseinkönnens IN DIE VORHABE GESTELLT ; die leitende Vor-sicht, die Idee der Existenz, hat durch die Klärung des eigensten Seinkönnens ihre Bestimmtheit gewonnen; mit der konkret ausgearbeiteten Seinsstruktur des Daseins ist seine ontologische Eigenart gegenüber allem Vorhandenen so deutlich geworden, dass der Vorgriff auf die Existenzialität des Daseins eine genügende Artikulation besitzt, um die begriffliche Ausarbeitung der Existenzialien sicher zu leiten.
Heidegger wäre nun sicher nicht zufrieden gewesen, wenn seine VORHABE als irgendeine Modalität des HABENS verstanden und diesem Begriff damit untergeordnet worden wäre. An anderer Stelle schreibt er nämlich – und man beachte das einschränkende Adverb «lediglich»:
Die Entschlossenheit
HAT
[kursiv im Text] nicht lediglich einen Zusammenhang mit dem Vorlaufen als einem anderen ihrer selbst.
Sie birgt das eigentliche Sein zum Tode in sich als die mögliche existenzielle Modalität ihrer eigenen Eigentlichkeit
[kursiv im Text].
Übersetzt in die Sprache des vorliegenden Buches, muss also wohl für Heidegger das gewöhnliche HABEN ohne den existenziellen Mehrwert der vorhabe gedacht werden, insofern nach seiner Überzeugung «lediglich» die VORHABE , nicht jedoch alles sonstige VORHABEN am «Ganzseinkönnen» der
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