Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Über das Haben

Über das Haben

Titel: Über das Haben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Weinrich
Vom Netzwerk:
überhaupt «geistiges HABEN » [
l’avoir mental
] bedeuten kann. Noch weiter entwickelt und methodisch zugespitzt, lautet die Frage, ob denn einer phänomenologischen Betrachtung, etwa im Sinne Husserls, ein «absolutes HABEN » [
avoir absolu
] zugänglich gemacht werden kann.
    An dieser Stelle seines Nachdenkens gibt Gabriel Marcel seinem Problem eine überraschende Wendung, indem er das HABEN , gerade in seiner geistigen Gestalt, der Körperlichkeit
(corporéité
) des Menschen zuordnet. Die Tatsache, einen Körper zu HABEN
(avoir un corps
), scheint ihm das Urbild und die Wurzel des habens überhaupt zu sein. Wenn diese Annahme gerechtfertigt ist, dann dürfte von dieser Körperlichkeit weiterhin angenommen werden, dass sie einen «Grenzbereich» zwischen SEIN und HABEN bildet.
    Manche Indizien sprechen dafür, dass Gabriel Marcel zu diesen Überlegungen durch die Vermittlung des Husserl-Schülers Günther Stern gelangt ist, der in den dreißiger Jahren als Emigrant in Paris gelebt und geschrieben hat. Dieser Autor, der in späteren Jahren eher unter seinem «anderen» Namen Günther Anders bekannt geworden ist, spricht in einer philosophischen Schrift über das Haben von einem «Haben schlechthin», das ontologisch zu verstehen ist als das «schicksalhafte» und «unwiderrufliche» HABEN des Leibes.[ 2 ]
    Ganz im Sinne von Günther Stern/Anders ordnet auch Gabriel Marcel das HABEN , gerade in seiner absoluten Gestalt, der Körperlichkeit (
corporéité
) des Menschen zu. Wenn also die Philosophen und unter ihnen besonders radikal die Cartesianer so auffällig der Kategorie HABEN den Rücken gekehrt HABEN , so kann dieses seltsame Verhalten auch in der cartesianischen Entfremdung zwischen Geist und Materie seinen tiefsten Grund haben. Jedenfalls könnte, um die Entfremdung dieser zwei Sphären zu überwinden, gerade dem Körper die Rolle zufallen, als «absoluter Vermittler» [
médiateur absolu
] tätig zu werden, wobei dann auch endlich wieder das HABEN seinen Platz im philosophischen Diskurs einnehmen kann. Die zentralen Sätze lauten bei Gabriel Marcel: «Alles HABEN definiert sich in gewisser Weise von meinem Körper her. In diesem Sinne «impliziert» der Körper ein absolutes HABEN [
un avoir absolu
].
    An anderer Stelle spezifiziert der Autor diesen Gedanken noch wie folgt: «Was ich HABE , fügt sich meinem Ich hinzu» [
ce que j’ai s’ajoute à moi
]. Und von hier führt dann wieder eine stabile Brücke zum SEIN , dessen Verständnis durch eine methodisch gesicherte Partnerschaft mit der Kategorie HABEN nur gewinnen kann. Denn, so Gabriel Marcel noch einmal: «Es könnte übrigens sein, dass eine phänomenologischeAnalyse des HABENS eine nützliche Einführung darstellen könnte für eine erneuerte Analyse des SEINS » [
une introduction utile à une analyse renouvelée de l’être
].
    *
    An zweiter Stelle soll hier an Jean-Paul Sartre (1905–1980) erinnert werden, der sich mitten im Kriege, als Frankreich noch von deutschen Truppen besetzt war, zum Existenz-Philosophen erklärt hat. Das ist mit seinem Werk «Das Sein und das Nichts» (
L’être et le néant
, 1943) geschehen, das vom Titel her zunächst keinen besonderen Beitrag zur Philosophie des HABENS erwarten lässt. Doch beginnt der vierte und letzte Teil dieser «Ontologie» (so sagt auch er) mit der weitreichenden Feststellung: «Haben, Tun und Sein sind die grundlegenden Kategorien der menschlichen Wirklichkeit.» [
Avoir, faire et être sont les catégories cardinales de la réalité humaine
]. Diese drei Kategorien werden daher von Sartre auch
catégories existentielles
genannt.[ 3 ]
    An anderer Stelle seines Buches reduziert Sartre die drei genannten Kategorien sogar auf zwei. Allein
être
und
avoir
bleiben übrig, da das «Tun» nach seiner Auffassung nur einen transitorischen Wert hat, weil jeder, der etwas tut, damit im Grunde bezweckt, etwas zu HABEN . Aus dieser Perspektive scheut Sartre auch nicht vor dem definitorischen Satz zurück: «Ich BIN , was ich HABE » (
Je suis ce que j’ai
).
    Um diesen Satz zu rechtfertigen, muss Sartre allerdings das HABEN mit einem äußerst starken Akzent versehen. Er versteht es nämlich als eine Vereinnahmung, bei der sich ein Subjekt sein jeweiliges Objekt in einem quasi «magischen» Akt der Besitzergreifung «einverleibt». Dafür steht in seinem Buch der Satz: «Besitzen heißt, etwas zu eigen zu HABEN » [
Posséder, c’est avoir à moi
]. In diesem Sinne ist für Sartre sogar das

Weitere Kostenlose Bücher