Über das Haben
referierenden Affäre des deutsch-französischen Sängerkriegs um den Rhein soll jedoch nicht dem Düsseldorfer Rheinländer Harry Heine, sondern dem Kölner Karnevalisten Kurt Adolf Thelen vorbehalten bleiben, der als gefeierter Sängerdes Rheinlandes um die Mitte des 20. Jahrhunderts den Rhein und den Streit um den Rhein in einen ebenso friedlichen wie gemütlichen Schlaf gesungen hat:[ 5 ]
Ich HAB den Vater Rhein
in seinem Bett gesehn.
HAT der’s nicht wunderschön,
braucht niemals aufzustehn?
GEHAB dich wohl, Vater Rhein, in deinem europäischen Bett!
– 30 –
DER GROSSE MAHLKE HAT ES AM HALS – MIT GÜNTER GRASS
Zwei Jahre nach dem Romanerfolg der «Blechtrommel» hat Günter Grass (geb. 1927) seine Novelle «Katz und Maus» geschrieben, die in ihrer Thematik dem großen Roman nahe steht (1961)[ 1 ]. Sie spielt wie dieser in Danzig. Held der Geschichte – im Doppelsinn des Wortes – ist der Gymnasiast Joachim Mahlke, «der Große Mahlke», wie er nach seinen ersten Jugendstreichen von seinen Freunden genannt wird. Erzähler ist sein Schulfreund Pilenz, der in seinem Bericht ständig zwischen der Ich-Form, der Du-Form und der Er-Form wechselt. Zeit der Handlung ist der Zweite Weltkrieg.
Die Novelle ist meisterlich geschrieben und bleibt an erzählerischer Kraft nicht hinter der «Blechtrommel» zurück. Am Anfang der Novelle steht die «Maus». Das ist bei dem Protagonisten eine kleine körperliche Absonderlichkeit: ein am Hals hervortretender und beim Schlucken «springender» Adamsapfel, der ziemlich auffällig ist. «Was HAT er nur? – Der HAT nen Tick!» Um den Hänseleien seiner Mitschüler zu entgehen, denkt Mahlke sich allerhand Anziehsachen (Mantelkragen, Schal) oder Zierrat (Bommeln oder «Puscheln») aus, um die lästige Maus zu verdecken. Noch lange danach erinnern sich seine Schulkameraden: «Mensch, HATTE der nicht irgendwas am Hals. Und HABEN wir ihm nicht mal eine Katze.» Eine Zeitlang helfen die bunten Bommeln, die am Hals zu tragen sind und bei den Schülern bald Mode werden. «Immer wieder HATTE er seinen Spaß an den bunten Dingern.» Wir wollen uns an dieser Stelle das Wort «Ding» mit seinem umgangssprachlichen Plural «Dinger» merken. Es wird in der Novelle ein Deckwort für das Leitthema werden.
Durch solche und andere Auffälligkeiten wird Mahlke bald der Anführer einer kleinen Jugendbande, die ihre freien Nachmittage mit Tauchübungen an einem halb versunkenen polnischen Handelsschiffverbringt. Dabei trägt Mahlke zur Badehose immer einen Schraubenzieher am Band um den Hals, mit dem er irgendeinen Gegenstand vom Wrack abschrauben und als Trophäe an seine Freunde weitergeben kann.
Es ist Kriegszeit, und die deutsche Wehrmacht stürmt noch von Sieg zu Sieg. Mitten aus dem Unterricht wird die gesamte Schülerschaft in die Aula gerufen. Ein früherer Schüler und Abiturient des Gymnasiums ist als Jagdflieger-Leutnant mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet worden, dem hohen Tapferkeitsorden, der als Halsorden getragen wird. Der hochdekorierte Offizier, «der den begehrten Bonbon am Hals HATTE », hält vor den versammelten Schülern seine Heldenrede und malt anschaulich aus, wie er seine Gegner abschießt: «stoße steil von oben, HAB ihn drinnen», nämlich in der Feuergarbe, und schon ist einer von den minimal zwanzig Abschüssen geschafft, die für das Ritterkreuz verlangt werden. Im weiteren Verlauf des Krieges wird die verlangte Leistung noch erhöht, und Mahlke macht sich Sorgen: «Jetzt müssen sie schon vierzig [scil. feindliche Flieger] runterholen, wenn sie das Ding HABEN wollen.»
Hier sieht man schon den Geschichtenerzähler Grass mit einem geschickten Kunstgriff am Werk. Das offizielle Kennwort des Tapferkeitsordens, nämlich «Ritterkreuz (zum Eisernen Kreuz)» wird im gesamten Novellentext vermieden und für eine Art Epilog bis zur letzten Textseite aufgespart. Auf allen vorhergehenden Seiten des Textes und für alle an der Handlung Beteiligten heißt der Orden immer «das Ding», «der Bonbon» oder «der Artikel». Durch diese stereotype Vermeidung und Umschreibung der Sache wird dem begehrten Halsorden eine quasi magische Bedeutung zuteil, immer jedoch schon in ahnungsvoller Verbindung mit dem Großen Mahlke: «Du warst unser Thema. Wir wetteten: Was wird er jetzt machen? Wetten wir, der HAT schon wieder Halsschmerzen!»
Schon bald bietet sich im Danziger Gymnasium die Gelegenheit zu einer neuen Heldenrede. Der zweite Ritterkreuzträger der Schule ist ein
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