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Über das Haben

Über das Haben

Titel: Über das Haben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Weinrich
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gelehnt, die Schlacht noch zu seinen Gunsten zu lenken versucht hat, muss sich geschlagen geben. Nicht nur er, sondern auch alle, die ihm vertrauten, haben ihre gesamte, auf die Karte Saccard gesetzte HABE verloren.
    Noch in der Untersuchungshaft, wo gegen ihn mit dem Verdacht des Börsenbetrugs ermittelt wird, phantasiert der Häftling Saccard im Feldherrenstil: «Wenn Napoleon am Tag von Waterloo noch hunderttausend Mann als Kanonenfutter GEHABT HÄTTE !» [
Si Napoléon AVAIT EU cent mille hommes encore à faire tuer!
]. Oder noch deutlicher: «Wenn ich Gundermann niedergerungen HÄTTE , dann HÄTTE ich jetzt Paris zu meinen Füßen! [
j’ AURAIS Paris à mes pieds
].
    Und wie wird das Urteil des Gerichts lauten, wie hoch fällt die Strafe aus? Es kommt zu keinem Prozess. Saccard kann unbehelligt in einem Nachtzug Frankreich verlassen und darf sich nach Belgien ins Exil begeben. Bestraft sind nur die vielen Kleinaktionäre, die ihr ganzes Vertrauen in die von Saccard verspielten Wertpapiere gesetzt und durch deren Debakel ihre ganze HABE eingebüßt haben.

– 28 –

SIND DICHTER UND DENKER DIE BESSEREN HABENDEN? – EIN DOKUMENTARISCHES KAPITEL
    WALTHER VON DER VOGELWEIDE (ca. 1170–ca. 1230) jubiliert in seinen mittelhochdeutschen Versen, dass er nun von der Gnade des Königs ein Lehen HAT , wo er sich, ohne weiterhin reiche Geizhälse anbetteln zu müssen, eines bescheidenen Glücks erfreuen kann.[ 1 ] Auch wir wollen den Dichter beglückwünschen, dass er nun nicht mehr den winterlichen Februar (hornunc) zu fürchten braucht, von dessen Frost ihm so oft die Zehen erfroren sind:
    Ich HÂN mîn lêhen, al die werlt, ich HÂN mîn lêhen,
    nû enfürhte ich niht den hornunc an die zêhen,
    und wil alle boese hêrren dester minre vlêhen.
    Der edel künec, der milte künec HÂT mich berâten,
    daz ich den sumer luft und in dem winter hitze HÂN .
    Mînen nâhgebûren dunke ich verre baz getân:
    sie sehent mich niht mêr an in butzen wîs als sî wîlent tâten.
    Ich BIN ze lange arm gewesen ân mînen danc,
    ich was sô voller scheltens daz mîn âten stanc:
    daz HÂT der künec gemachet reine, und dar zuo mînen sanc.
    [Ich HAB mein Lehen, in alle Welt ruf ich’s hinein: ich HAB mein Lehen!/Nun fürchte ich nicht mehr den Februarfrost an den Füßen/und werde künftig die geizigen Herren nicht mehr anflehen. Der edelmütige König, der großmütige König HAT mich versorgt,/so dass ich im Sommer kühlende Luft und im Winter Wärme HABE ./Meiner Umwelt komme ich jetzt viel feiner vor:/sie sehen mich nicht mehr an als ein Hausgespenst, wie sie bisher taten./Ich bin zu lange arm gewesen, ohne dafür zu können./Ich war so voller Scheltworte, dass mein Atem stank./All dies HAT der König rein gemacht und mein Singen dazu.]
    *
    HEINRICH HEINE (1797–1856), der fast die Hälfte seines Lebens als Emigrant in Paris von kargen Honoraren und ein paar Subsidien gelebt hat, weiß wohl, wovon er in diesem Gedicht unter dem Titel «Weltlauf» redet.[ 2 ] Es sind die verflixten Quantitäten des HABENS , aufwärts im Glück von «viel» zu «viel mehr», abwärts im Unglück von «wenig» über «etwas» zur Nullstufe «nichts mehr»:
    HAT man viel, so wird man bald
    Noch viel mehr dazu bekommen,
    Wer nur wenig HAT , dem wird
    Auch das Wenige genommen.
    Wenn du aber GAR NICHTS HAST ,
    Ach, so lasse dich begraben –
    Denn ein Recht zum Leben, Lump,
    HABEN nur die etwas HABEN .
    *
    Mit dem Emigranten Heinrich Heine war in seiner Pariser Zeit der Emigrationsgefährte KARL MARX (1818–1882) in enger Freundschaft verbunden. Auch in ihren gesellschaftspolitischen Ansichten und Absichten standen sie sich nahe. Von der Freundschaft mit dem Hegel-Schüler Heine oftmals inspiriert, erarbeitete sich Karl Marx in dieser fruchtbaren Zeit seine Grundüberzeugungen von der historischen Rolle des Proletariats im bevorstehenden Klassenkampf gegen die Macht der Besitzenden.[ 3 ] Gerade vom NICHT-HABEN der Proletarier erwartet er das revolutionäre Potential, das der kommunistischen Bewegung die nötige Triebkraft für den Kampf gegen die kapitalistische Gesellschaft liefern soll. So lesen es seine Parteigänger an vier zentralen Stellen des «Manifests der kommunistischen Partei» von 1848:
    Die Bourgeoisie HAT nicht nur die Waffen geschmiedet, die ihr den Tod bringen; sie HAT auch die Männer gezeugt, die diese Waffen führen werden – die modernen Arbeiter, die Proletarier.
    Die Kommunisten SIND KEINE besondere Partei gegenüber den

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