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Über das Haben

Über das Haben

Titel: Über das Haben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Weinrich
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anderen Arbeiterparteien. Sie HABEN KEINE von den Interessen des ganzen Proletariats getrennte Interessen.
    Die Arbeiter HABEN KEIN Vaterland. Man kann ihnen nicht nehmen, was sie NICHT HABEN .
    Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier HABEN NICHTS in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie HABEN eine Welt zu gewinnen.
    *
    GEORG BÜCHNER (1813–1837) hat in seinem kurzen Leben das Drama «Woyzeck» nicht vollenden können, und dennoch haben die fragmentarischen Szenen von der tragischen Liebe des Soldaten Woyzeck zu der treulosen Geliebten Marie dem Autor den Weg in die klassische Dramenliteratur gebahnt.[ 4 ] Der ausgewählte Abschnitt aus der fünften Szene ist ein Dialog zwischen dem gelernten Barbier Woyzeck und seinem leutselig sich gebenden Hauptmann, den er als Bursche rasieren muss. Es ist ein beklemmender Dialog auf Messers Schneide zwischen HABEN und NICHT-HABEN :
    Woyzeck.

Wir arme Leut. Sehn sie, Herr Hauptmann, Geld, Geld.
Wer kein Geld HAT . Da setz einmal einer sein’sgleichen auf die Moral in die Welt. Man HAT auch sein Fleisch und Blut. Unsereins IST doch einmal unselig in der und der andern Welt, ich glaub’ wenn wir in Himmel kämen, so müssten wir donnern helfen.
    Hauptmann.

Woyzeck, er HAT keine Tugend, er IST kein tugendhafter Mensch. Fleisch und Blut? Wenn ich am Fenster lieg, wenn es geregnet hat und den weißen Strümpfen so nachsehe, wie sie über die Gassen springen, – verdammt Woyzeck, – da kommt mir die Liebe. Ich HAB auch Fleisch und Blut. Aber Woyzeck, die Tugend, die Tugend! Wie sollte ich dann die Zeit herumbringen? Ich sag’ mir immer du BIST ein tugendhafter Mensch, (gerührt) ein guter Mensch, ein guter Mensch.
    Woyzeck.

Ja, Herr Hauptmann, die Tugend! Ich HAB ’s noch nicht so aus. Sehn Sie wir gemeinen Leut, das HAT keine Tugend, es kommt einem nur so die Natur, aber wenn ich ein Herr WÄR und HÄTT ein Hut und eine Uhr und en Anglaise und könnt vornehm reden, ich wollt schon tugendhaft SEIN . Es muss was Schöns SEIN um die Tugend, Herr Hauptmann. Aber ich BIN ein armer Kerl.
    Hauptmann.

Gut Woyzeck. Du BIST ein guter Mensch, ein guter Mensch. Aber du denkst zu viel, das zehrt, du siehst immer so verhetzt aus. Der Diskurs HAT mich ganz angegriffen. Geh’ jetzt und renn nicht so; langsam hübsch langsam die Straße hinunter.
    *
    KATHARINA HACKER (geb. 1967) wurde im Jahre 2006 für den Roman «Die Habenichtse» mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet.[ 5 ] Die zahlreichen Personen, die in diesem Roman den Ton angeben, gehören vorwiegend der oberen Mittelschicht an und leiden keine Not. Wieso sollen sie HABENICHTSE sein? Das wird erst dadurch klar, dass einige von ihnen über das Sterben nachdenken als die letztgültige Grenze zwischen HABEN und NICHT-HABEN :
    BESITZ , hatte Bentham gesagt, ist ein Modus des Verlustes, wir tun nur so, als verliehe er uns Stabilität und Dauer. Eigentlich ist es ein Spiegel der Vergänglichkeit. (…)
    In gewisser Weise, hatte er Hans gesagt, als sie, ein einziges Mal, über den Tod seiner Mutter gesprochen hatten, ist der Tod ein Wechsel der BESITZVERHÄLTNISSE . Was dem Toten GEHÖRT HAT , geht in den Besitz anderer über, sein HAB UND GUT ist bloß der kleinste Teil. Das nächste ist der Körper, er GEHÖRT denjenigen, die ihn schminken lassen oder nicht, aufbahren oder nicht, beerdigen oder verbrennen. Und dann nehmen sie in Besitz, was der Tote gedacht und gehofft und erlebt HAT , selbst seine Erinnerung GEHÖRT bald den Angehörigen, im Namen ihrer Liebe, im Namen ihrer Erinnerung. Mir wäre es am liebsten, dass die Leute mich vergessen, wenn ich tot bin.

 
     
     
FÜNFTER ABSCHNITT

Streit haben, Krieg haben, Hoffnung haben
     
– 29 –

EIN SÄNGERKRIEG UM DEN RHEIN – UND WAS HAT DER RHEIN DAVON?
    Es war im Jahre 1840, dass ein bis dahin wenig bekannter Bonner Liedermacher, Nikolaus (Niklas) Becker, den Einfall hatte, das rheinische Liedgut um ein Exemplar besonderer Art zu bereichern. Er verfasste für den Rheinstrom ein Schutz- und Trutzlied, das mit den wehrhaften Versen begann: «Sie sollen ihn NICHT HABEN , den freien deutschen Rhein».[ 1 ]
    Sie, das sind hier, ohne dass man sie mit ihrem Namen zu nennen braucht, die Franzosen, von denen der Liedermacher befürchtet, dass sie ihre Besitzergreifung von Straßburg (1681) auf andere Rheinlande ausweiten wollen. Ich zitiere hier vier von insgesamt sieben Strophen:
    1. Sie sollen ihn NICHT HABEN ,
den freien

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