Über das Haben
deutschen Rhein,
ob sie wie gier’ge Raben
sich heiser danach schrein.
3. Sie sollen ihn NICHT HABEN ,
den freien deutschen Rhein,
so lang sich Herzen laben
an seinem Feuerwein.
5. Sie sollen ihn NICHT HABEN ,
den freien deutschen Rhein,
so lang dort kühne Knaben
um schlanke Dirnen frein.
6. Sie sollen ihn NICHT HABEN ,
den freien deutschen Rhein,
bis seine Flut begraben
des letzten Manns Gebein.
Mit diesen holprigen Versen also, in einer Regionalzeitung zuerst publiziert, scheint Nikolaus Becker gleichwohl manches rheinische Herz angerührt zu haben, da sogar kein geringerer als Robert Schumann neben vielen anderen Komponisten das Lied vertont hat. Auch in französischen Gazetten findet das Lied Beachtung, da es ausgerechnet dem bekannten französischen Dichter Alphonse de Lamartine zugeeignet ist. Der lässt sich tatsächlich durch das Gedicht herausfordern, eine Erwiderung zu verfassen, ebenfalls in Versform. Das ist seine «Friedens-Marseillaise» (
Marseillaise de la Paix
, 1840/41).[ 2 ]
Warum Marseillaise? Das hat seinen Grund darin, dass Lamartine aus den Versen des Beckerschen Rheinliedes unausgesprochen einen kritischen Bezug auf die französische Nationalhymne heraushörte, die 1792 von Claude Joseph Rouget de Lisle als «Kriegslied der Rhein-Armee» in Straßburg verfasst worden war. In deutlichem Kontrast zu dieser martialischen Marseillaise, aber auch mit ihrem diskreten Tadel der von Becker gewählten Tonlage, ist Lamartines Friedens-Marseillaise eine noble Hymne auf den «frei strömenden» Rhein, an dessen beiden Ufern nur die Brüderlichkeit, nicht der Hass besungen werden soll.
Die leise Antwort auf Beckers lautstarke Verse wurde von manchen Franzosen als zu milde empfunden. So dachte auch der gleichfalls sehr bekannte Dichter Alfred de Musset, der noch im gleichen Jahr, nun aber mit Hohn und Häme, ein Antwortgedicht an Nikolaus Becker verfasste.[ 3 ] Es beginnt mit dem Spottvers: «Wir HABEN ihn GEHABT , euren deutschen Rhein» [
Nous l’ AVONS EU
,
votre Rhin allemand
.] Wie und wo GEHABT ? In den Pokalen, aus denen die Franzosen damals, zur Zeit des Sonnenkönigs und später auch noch in der napoleonischen Zeit, auf ihre Siege den Rheinwein getrunken haben.
An dieser Stelle seines Spottgedichts muss der Autor zu seinem Leidwesen, wie aus seinen Versen deutlich herauszuhören ist, auf eine Pointe verzichten, die ihm mit der wiederholten Triumphformel «
nous l’avons ….»
gewissermaßen auf der Zunge gelegen hat. Der Rhein (
le Rhin
) ist nämlich leider, anders als etwa die Seine (
la Seine
), maskulinen Geschlechts. Trotzdem kann Musset es sich nicht verkneifen, die sexistische Redensart zu zitieren: «O
ù le père a passé, passera bien l’enfant».
Aber die gemeinte Anwendung auf die Rheinlande – wo dieEroberer Straßburgs «durchgekommen» sind, da passen auch noch spätere französische Eroberer durch – verklemmt sich an der Maskulinität des Rheins.
Doch eine andere Pointe mit gleicher Säure gelingt dem Franzosen schärfer. Der «Feuerwein» aus rheinischen Reben nämlich, den Becker in seinem Kampflied so laut gepriesen hatte, ist für französische Weinkenner wie Musset nur ein «kleiner Weißwein» [
«votre petit vin blanc»
]. Man hat ihn schnell wieder vergessen. Aber die rheinischen Mädchen, die den Franzosen diesen Wein kredenzt haben, sie werden sich wohl dauerhafter an die Manneskraft der Sieger erinnern: «
Vos jeunes filles, sûrement/ ONT mieux
gardé
notre mémoire»
.
Dem Dichter Lamartine haben diese Pointen nicht gefallen.
*
Heinrich Heine jedoch, der sich schon 1823 mit seinem Lied von der Loreley einen unvergesslichen Namen als Dichter der Rheinlande erworben hatte und seit 1831 als Emigrant in Paris lebte, hat es sich seinerseits nicht entgehen lassen, den Sängerkrieg um den Rhein mit dieser drastischen Pointe zu bereichern.[ 4 ] So kommt er im Caput V seines «Wintermärchens» (1845) noch einmal auf «das dumme Lied und den dummen Kerl» Nikolaus Becker zu sprechen, der ihn als Rheinländer im Pariser Exil so «schmählich blamiert» und «politisch kompromittiert» hat. Doch auch ihn reizt dabei, zusammen mit den «schlechten Witzen» des «Gassenbubs» Alfred de Musset, die Tücke des maskulinen Rheins, dem er daher in seinen Versen zu Nikolaus Becker selber das Wort gibt:
Er HAT mich BESUNGEN , als ob ich noch
Die reinste Jungfrau wäre,
Die sich von niemand rauben lässt
Das Kränzlein ihrer Ehre.
Das allerletzte Wort in der hier zu
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