Über das Sterben
Patienten mit Demenzen und anderen neurodegenerativen Krankheiten, deren fortschreitender Hirnabbauprozess über einen Zeitraum von Jahren schließlich dazu führt, dass das Hirn nicht mehr in der Lage ist, lebenswichtige Funktionen wie zuletzt das Essen und Schlucken korrekt zu steuern. Das hat wegen der Langsamkeit des Prozesses in der Regel einen friedlichen Tod zur Folge, wenn der Sterbeprozess nicht durch unnötige ärztliche Eingriffe gestört wird (siehe Kapitel 6).
Viele Todesfälle sind eine Kombination zweier oder mehrerer der eben beschriebenen Todesformen, wie zum Beispiel der Tod durch Lungenentzündung bei weit fortgeschrittener Demenz. Es kann aber hilfreich sein, sich daran zu erinnern, dass alle Sterbeverläufe grundsätzlich auf der Schädigung eines oder mehrerer lebenswichtiger Organe beruhen müssen.
Ist der Hirntod der Tod des Menschen?
Die Diskussion über den Hirntod ist ein gutes Beispiel für teilweise irrationale Ängste in der Gesellschaft in Bezug auf das Lebensende. Ärzten und Wissenschaftlern gelingt es leidernicht immer, die zum Teil schwierigen Sachverhalte so zu erklären, dass diese Ängste abgebaut werden können.
Wozu dient das Konzept des Hirntodes? Zu einem einzigen Zweck: der Organentnahme für Transplantationen. Dazu ist es zum einen notwendig, dass ein menschlicher Organismus sich in einem Zustand befindet, der es ethisch und juristisch möglich macht, lebenswichtige Organe zu entnehmen, um sie in den Körper anderer Menschen einzusetzen. Zum anderen muss es dieser Zustand im Idealfall erlauben, die Organe durch künstliche Aufrechterhaltung der basalen Körperfunktionen (Atmung und Kreislauf) so lange intakt zu erhalten, bis das Explantationsteam vor Ort ist (sonst wären sie innerhalb von Minuten nicht mehr brauchbar).
Diese Voraussetzungen erfüllt das Kriterium des Hirntodes. Er stellt
nicht
den Zeitpunkt dar, an welchem alle Körperfunktionen unwiederbringlich erloschen sind: Mit Hilfe der modernen Intensivmedizin lassen sich die basalen Körperfunktionen hirntoter Patienten unter Umständen über Wochen aufrechterhalten. Der Hirntod stellt aber den Zeitpunkt dar, ab welchem die Integrität des Organismus unwiederbringlich verloren ist, die zumindest eine intakte Hirnstammfunktion erfordert. Das bedeutet, dass ab diesem Zeitpunkt zwar unterschiedliche Organe mit oder ohne künstliche Unterstützung noch unterschiedlich lange «Lebens»spannen vor sich haben können (Haare und Nägel wachsen beispielsweise noch einige Tage nach dem Tode weiter) – der
Tod des Gesamtorganismus als integrierte biologische Einheit
ist aber zu diesem Zeitpunkt schon unumkehrbar vollzogen. Anders als zum Beispiel bei Patienten im Wachkoma brechen bei hirntoten Patienten mit Beendigung der Beatmung und Kreislaufunterstützung sämtliche lebenswichtigenFunktionen aufgrund der fehlenden Steuerung durch das Gehirn sofort zusammen.
Wie in vielen Situationen, die mit dem Lebensende zu tun haben, liegen die Probleme, die manche Menschen mit dem Hirntod haben, nicht auf einer rationalen, sondern auf einer (nicht zu unterschätzenden) intuitiv-psychologischen Ebene. Es fällt einfach schwer, einen Menschen mit rosiger Haut, warmer Körpertemperatur und dem Aussehen eines Schlafenden existentiell als «tot» zu akzeptieren. Dieser psychologischen Barriere ist nicht ohne Weiteres mit rationalen Argumenten beizukommen, wie jeder Arzt weiß, der Erfahrung mit Transplantationsgesprächen hat. Es gilt erst einmal, die dahinter liegende Trauer und Verzweiflung der Angehörigen zu akzeptieren und zu würdigen. Dann kann man sie vorsichtig darauf hinweisen, dass es um den
mutmaßlichen Willen des Patienten
in einer solchen Situation geht: Würde er einer Organentnahme zustimmen, wenn man ihn in dieser Situation fragen könnte? Dass der Patient juristisch wie medizinisch zu diesem Zeitpunkt bereits tot ist, bedeutet nicht, dass sein Wille unerheblich ist, sonst bräuchte niemand ein Testament zu verfassen oder einen Organspendeausweis auszufüllen. Die Zurückführung der Diskussion auf die Ermittlung des Patientenwillens ist für die Angehörigen sehr entlastend, was übrigens für alle Stellvertreterentscheidungen am Lebensende gilt (siehe Kapitel 8). Die Anzahl der Fälle, in denen die Angehörigen entscheiden müssen, dürfte sich in Zukunft dank der für Ende 2011 geplanten Verabschiedung des neuen Transplantationsgesetzes, das eine Befragung aller Bürger über ihre Bereitschaft zur Organspende
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