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Über das Sterben

Über das Sterben

Titel: Über das Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gian Domenico Borasio
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Fällen ebenfalls im häuslichen Bereich angewendet werden kann (durch die sogenannten SAPV-Teams, siehe Kapitel 3). Und bei lediglich ein bis zwei Prozent der Sterbenden sind die Probleme so gravierend, dass sie nur auf einer spezialisierten Palliativstation behandelt werden können, wenn nötig, unter Einsatz aller Mittel der modernen Medizin, aber mit dem ausschließlichen Ziel der Beschwerdelinderung.
    Leider hat auch beim Sterben in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein zunehmender Medikalisierungsprozess eingesetzt. Durch die atemberaubenden Erfolge deroperativen Medizin und der Intensivmedizin hat sich so etwas wie ein Allmachtsgefühl in der Medizin breitgemacht. Dies führte dazu, dass der Tod als Feind und sein Eintreten als Versagen, wenn nicht gar als narzisstische Kränkung empfunden wurde – und teilweise noch wird. Ein Interview mit Deutschlands wohl berühmtesten Herzchirurgen, Professor Bruno Reichart von der Universität München, trug im Jahr 2007 den vielsagenden Titel «Ich hasse den Tod».[ 2 ] Die Folgen dieser Einstellung waren und sind unnötiges Leiden für Patienten und ihre Familien sowie Frustration und Burn-out bei Ärzten und Pflegenden.
    Ähnlich wie bei der Geburt hat auch beim Sterben als Reaktion auf diese Fehlentwicklung ein Prozess des Umdenkens eingesetzt, der zur «Wiederentdeckung» des natürlichen Todes und der urärztlichen Aufgabe der Sterbebegleitung geführt hat («Heilen manchmal, lindern oft, trösten immer», lautet eine alte Definition des Arztberufs).[ 3 ] Ist auf der einen Seite von der «sanften Geburt» die Rede, so wünschen sich fast alle Menschen einen «sanften Tod». Was damit gemeint sein kann, welche Hilfsmöglichkeiten es gibt und wie man sich darauf vorbereiten kann, davon wird in den folgenden Kapiteln die Rede sein.
Nahtoderfahrungen
    Ein Buch über das Sterben kann das Phänomen der sogenannten «Nahtoderfahrungen» nicht ignorieren, über das in den letzten Jahren eine Fülle von Material und Berichten zusammengetragen wurde. Schon Carl Gustav Jung hat sich mit dieser Art von «außerkörperlicher» Erfahrung (englisch
out of body experience
) beschäftigt, nachdem er selbst einsolches Erlebnis hatte. Dutzende von Büchern und unzählige Artikel wurden seitdem über dieses Thema verfasst. Als Arzt, der viele Sterbende begleitet hat, muss ich zugeben, dass mir ein solcher Fall nie begegnet ist. Aber die meisten Nahtoderfahrungen spielen sich im Umfeld von Unfällen, Intensivstationen oder Operationen ab, nicht auf Palliativstationen.
    Oft wird in solchen Fällen berichtet, dass es während einer Operation oder einer anderen Form von Bewusstseinsstörung zu einem Gefühl kommt, als ob man aus dem eigenen Körper herausgerissen würde und die Situation von außen beobachten könnte. Die Betroffenen erinnern dann auch zum Teil genau, was in diesen Situationen von den Anwesenden (etwa dem Operationsteam) gesagt und getan wurde. Außerdem wird häufig ein Tunnel erwähnt, an dessen Ende sich ein starkes Licht befindet, in dem manche verstorbene Verwandte oder religiöse Gestalten erkennen. In der Regel herrscht ein Gefühl von Frieden und Wohlbefinden, so dass viele Betroffene berichten, dass ihnen die «Rückkehr» in den eigenen Körper schwergefallen sei.
    Objektivieren lassen sich solche Erfahrungen nicht, denn sie haben alle gemeinsam, dass die Betroffenen eben nicht gestorben sind, sonst hätten sie nicht darüber berichten können. Ob es eine plausible neurophysiologische Erklärung für diese Phänomene gibt, ist umstritten. Unzweifelhaft ist aber: Die meisten Menschen, die eine Nahtoderfahrung erlebt haben, berichten, dass ihre Angst vor dem Tod danach deutlich geringer geworden und ihre Einstellung zum Leben ruhiger und gelassener ist. Das allein ist Grund genug, um dem ganzen Phänomen positiv gegenüberzustehen. Denn das, was die Angst vor dem Tod verringert, hilft den Menschen.

2
Das Lebensende: Wunsch und Wirklichkeit
    Bei Vorträgen über das Lebensende frage ich gerne die Zuhörer nach ihren Wunschvorstellungen für ihr eigenes Sterben und bitte sie, sich zwischen folgenden Möglichkeiten zu entscheiden:
    1 einem plötzlichen, unerwarteten Tod aus voller Gesundheit heraus, z.B. durch Herzinfarkt;
    2 einem mittelschnellen Tod durch eine schwere, fortschreitende Erkrankung (z.B. Krebs) über ca. zwei bis drei Jahre hinweg bei klarem Bewusstsein, mit bester Beschwerdelinderung und Palliativbegleitung;
    3 einem langsamen Tod durch

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