Über das Sterben
Professorenstellen gefordert hatte. Der Geschäftsführer der Deutschen Krebshilfe, die sich wie keine andere Institution um die Förderung der Palliativmedizin in Deutschland verdient gemacht hat, stellte ernüchtert fest: «Wir mussten erkennen, wie schwierig es ist, das noch relativ junge Fach ‹Palliativmedizin› in universitäre Strukturen zu integrieren. Leider müssen wir konstatieren, dass sich die Hochschullandschaft nach wie vor schwer damit tut, der Palliativmedizin die dringend notwendige Eigen- und Selbständigkeit zu geben.»[ 1 ]
Wem nützt das?
Warum bemühen sich angestammte, große Fächer so sehr um die Beherrschung der «kleinen» Palliativmedizin? Warum hatte die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin nach ihrem Gründungpräsidenten ausschließlich Anästhesisten an ihrer Spitze? Zum Verständnis scheinbar irrationaler Entwicklungen hilft oft die Nachfrage, wem diese nützen. Dabei fällt auf, dass die Gleichsetzung von Palliativmedizin und Schmerztherapie, die vor allem von anästhesiologischer Seite betrieben wird, eindeutige Vorteile für die pharmazeutische Industrie hat. Diese macht ihre Umsätze nun einmal nicht mit spiritueller Begleitung, sondern mit Schmerzmitteln. Damit keine Missverständnisse entstehen: Es ist das gute Recht pharmazeutischer Unternehmen, ihr Geld so zu investieren, wie es für das Geschäft förderlich ist. Eine andere Frage ist, wie sich die Ärzteschaft und die Universitäten, als Anwälte der Interessen der Patienten und der freien Wissenschaft, dazu verhalten sollten.
Gefahr und Hoffnung für die Zukunft
Die große Gefahr für das Fach Palliativmedizin in Deutschland ist die einer «Zwangs-Wiedereingliederung» in das alte Medizinsystem, welche die wichtigste Errungenschaft des Fachgebiets, nämlich die Öffnung zu anderen Berufsgruppen und Disziplinen auch und gerade außerhalb der Medizin (insbesondere den Geistes- und Sozialwissenschaften), zunichtemachen könnte. Demgegenüber stehen aber unverändert der große Zuspruch aus Bevölkerung und Politik und neuerdings ein erstarktes Interesse der Hausärzte an derVersorgung Schwerstkranker und Sterbender. Das ist ermutigend, denn das Fach, mit welchem die Palliativmedizin die größte Schnittmenge besitzt, ist nicht die Anästhesiologie oder die Onkologie, sondern die Allgemeinmedizin. Im Grunde ist Palliativmedizin nichts anderes als
hochspezialisierte Allgemeinmedizin am Lebensende
. Bezeichnenderweise hat es die Allgemeinmedizin an deutschen Universitäten trotz ihrer unzweifelhaften Bedeutung für das Gesundheitssystem genauso schwer wie die Palliativmedizin.
Abbildung 10.3: Das multiprofessionelle Stiftungsprofessuren-Netzwerk Palliative Care an der Universität München (unter Angabe des jeweiligen Stifters).
Eine weitere spannende Verbindung ist die zwischen Palliativmedizin und Psychosomatik – das sind die zwei Fächer in der Medizin, welche die ganzheitliche Sicht auf die Leib-Seele-Einheit am stärksten thematisieren. Diese Verbindung ist bisher nur an der Technischen Universität München realisiert worden. An der Ludwig-Maximilians-Universität Münchenwiederum ist es in den letzten Jahren trotz äußerst widriger Umstände gelungen, ein multiprofessionelles Stiftungsprofessuren-Netzwerk für den Bereich Palliative Care einzurichten (Abb. 10.3). Dieses Netzwerk bildet zum ersten Mal weltweit die Definition der Palliativmedizin durch die Weltgesundheitsorganisation (welche die physischen, die psychosozialen und die spirituellen Probleme am Lebensende umfasst, siehe Kapitel 4) akademisch ab. Auch wenn der Erhalt dieses Netzwerks derzeit stark gefährdet erscheint, so gibt doch die Tatsache, dass es überhaupt etabliert werden konnte, Anlass zu vorsichtiger Hoffnung für die Zukunft.
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Leben im Angesicht des Todes:
Das Geschenk der Palliativmedizin
Palliativmediziner werden oft gefragt, wie sie ihren Beruf aushalten, bei so viel Kontakt mit Leiden und Tod. Nicht selten schwingt in dieser Frage echtes Mitgefühl für die scheinbar so belastende Arbeit mit. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Die Arbeit in der Palliativmedizin und Sterbebegleitung ist ein großes Geschenk. Eine Untersuchung unseres Psychotherapeuten Dr. Martin Fegg und seiner Mitarbeiter konnte dementsprechend keine Unterschiede in der Lebensqualität zwischen Pflegenden auf einer Palliativstation und einer Wöchnerinnen-Station feststellen, obwohl Letztere als einer der angenehmsten Arbeitsplätze in der Medizin gilt.[ 1
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