Über das Sterben
Deutschland haben sich beide Bereiche zum großen Teil getrennt voneinander entwickelt, was durchaus nicht unproblematisch ist. In diesem Kapitel sollen das Verhältnis zwischen Palliativmedizin und Hospizarbeit beleuchtet und die Schwierigkeiten des jungen Fachs Palliativmedizin in unserem hochkomplexen und stark ökonomiegesteuerten Gesundheitssystem dargestellt werden.
Palliativmedizin und Hospizarbeit
Historischer Ursprung
Der Begriff «Hospiz» stammt vom englischen
hospice
(vom lateinischen
hospitium
, die Herberge) und wurde von Dame Cicely Saunders eingeführt (siehe Kapitel 4a), die im Jahr 1967 mit dem St. Christopher’s Hospice in London die erste moderne stationäre Hospizeinrichtung weltweit eröffnete und die Betreuung ihrer Patienten als
hospice medicine
bezeichnete.
Die Begriffe «Palliativmedizin» und «Palliative Care» wurden von Dr. Balfour Mount in Montreal, Kanada, eingeführt (Abb. 10.1). Dr. Mount gründete dort 1975 am Royal VictoriaHospital die erste moderne Palliativstation an einem Akutkrankenhaus. Der Grund für die Neuentwicklung des Begriffs «Palliativmedizin» lag in der Besonderheit Montreals als Hauptstadt des kanadischen Bundesstaats Québec. Da die offizielle Sprache in Québec das Französische ist, in dieser Sprache aber der Begriff
hospice
schon belegt war (mit der Bedeutung in etwa eines Pflegeheims für geistig verwirrte Hochbetagte), musste eine andere Bezeichnung für Cicely Saunders’
hospice medicine
gefunden werden. Dr. Mount entschied sich für das Wort
palliative
(aus dem lateinischen
pallium
, der Mantel), und zwar in den französisch-englischen Versionen
soins palliatifs/palliative care
bzw.
médicine palliative/palliative medicine
.
Abbildung 10.1: Dame Cicely Saunders (1918–2005) und Dr. Balfour Mount (*1939).
Entwicklung in Deutschland
1985 wurde in Deutschland der erste Hospizverein gegründet, der Christophorus Hospiz Verein in München. Zwei Jahre davor war an der Universität zu Köln dank der Pionierarbeit von Professor Heinz Pichlmaier die erste Palliativstation Deutschlands eröffnet worden. In der Folge setzte, nach anfänglichen Schwierigkeiten, ein zuletzt rasantes Wachstum sowohl von Hospiz- als auch von Palliativeinrichtungen ein. Dabei zeichnete sich schon früh als deutsches Spezifikum eine Trennung der «Hospizlandschaft» von der «Palliativszene» ab. Diese Trennung hat ihren Ursprung primär in den unterschiedlichen Finanzierungsbedingungen der beiden Aktivitäten (Hospizarbeit vorwiegend über Spenden und ehrenamtliche Tätigkeit, Palliativmedizin vorwiegend über die Krankenkassen). Davon ausgehend, hat sich ein Nebeneinander, oft ein Miteinander, manchmal auch eine Konkurrenz von Palliativmedizin und Hospizarbeit entwickelt. In der nachfolgenden Tabelle sind in – zugegebenermaßen vereinfachter und etwas zugespitzter Form – einige Merkmale dieser Trennung genannt:
Reklamiert für sich
Wirft dem anderen vor
Hospizarbeit
Ehrenamtlichkeit, rein altruistische Motivation, größere Nähe zu Patient und Familie, politischen Einfluss
Arroganz gegenüber ehrenamtlicher Arbeit, mangelnde Wertschätzung, Fixierung auf körperliche Symptome
Palliativmedizin
Professionalität, wissenschaftliche Grundlage, hohen Grad an Institutionalisierung, größere finanzielle Unterstützung, politischen Einfluss
Unprofessionalität, Misstrauen gegenüber allem «Ärztlichen», negative Einstellung zur Forschung, «Gutmenschentum»
In den letzten Jahren ist in Deutschland eine Entwicklung zu beobachten, welche selbst für Insider verwirrend ist. So gibt es seit vielen Jahren die «Deutsche Stiftung Hospiz», die dank ihres wohlklingenden Namens und einiger prominenter Fürsprecher über ein hohes Spendenaufkommen verfügt, aber selbst zugibt, keine Hospize zu fördern (was Zweifel an der Legitimität dieser Namensgebung erlaubt). Dafür hat sich die offizielle Vertretung aller Hospizeinrichtungen in Deutschland, die «Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz», umbenannt in «Deutscher Hospiz- und Palliativverband», was die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin als Vertretung der Palliativmediziner nicht sonderlich gefreut hat.
Hintergrund dieser Entwicklungen ist ein Verteilungskampf um die von der Politik für den Ausbau der Sterbebegleitung zur Verfügung gestellten Finanzmittel: Allein für die Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung (SAPV, siehe Kapitel 3) geht es deutschlandweit um etwa 240 Millionen Euro pro Jahr. Damit ist klar,
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