Über das Trinken
Nachkommenden Würstchen sind, ahnungslos, bedauernswert und den wirklich wilden Zeiten (den eigenen) hoffnungslos hinterher.
Man sollte sich das vielleicht in Erinnerung rufen, bevor man nachts in der S-Bahn eine Clique angetrunkener Sechzehnjähriger bittet, ihre Zigaretten auszumachen. Das gibt dann gleich einen ganz anderen Ton, wenn man ihnen statt dessen zum Beispiel vorwirft, daß sie Filterzigaretten rauchen. »Als wir in euerm Alter waren, haben wir grundsätzlich OHNE Filter geraucht. Traut ihr euch wohl nicht? Ist euch zu stark, ihr Luschen?«
Das wären die Sätze, die dann fallen müssen: ihnen vorwerfen, daß sie nichts vertragen. Waschlappen seien. Zuckrige Mixgetränke nötig hätten, wie Mädchen beim
Tanzstundenball. Man sollte herzlich ihre Frisuren auslachen und ihnen deutlich machen, daß jeder Opa in der Bahn hier härtere Hauereien hinter sich habe. Und daß jede zweite Oma sie unter den Tisch trinken würde mit ihren Likörchen. In konkreten Situationen der Bedrohung sind alle Statistiken zwar hinfällig. Wenn jemand vor einem die Fäuste schwingt, gibt es kein Früher mehr, sondern nur noch Präsens und Präsenz, deshalb kommt einem das ja auch so vor, als nähmen die Aggressionen immer nur zu und niemals ab. Trotzdem verlangt im Grunde schon das Ältersein von einem, daß man sich zusammennimmt und die Rolle spielt, die einem als Erwachsener da zukommt, nämlich den Burschen eins hinter die Löffel zu geben. Die demographische Entwicklung, die schiere Überzahl der Alten, muß sich doch auch einmal zu irgend etwas nutzen lassen.
Überhaupt gibt es in der Frage, welchem Alter das öffentliche Betrunkensein zukommt und welchem nicht, ganz unterschiedliche Antworten. So erklärte vor einiger Zeit ausgerechnet der Düsseldorfer Punkrock-Sänger Campino, er sei mit 47 Jahren jetzt in einem Alter, »in dem man nicht mehr betrunken auf der Straße gesehen werden möchte«. Demgegenüber wollte der griechische Philosoph Platon die Trunkenheit überhaupt erst ab vierzig gestatten. (Platons Plan: Bis achtzehn gar nicht.
Unter dreißig nur in Maßen. Ab den Vierzigern aber: Feuer frei!)
Es sieht ganz so aus, als sei das mit dem Trinken in jedem Lebensalter so seine eigene Sache. Fast bei jedem gibt es irgendwann im Kindesalter den Moment, in dem das Mysterium der Erwachsenen ergründet wird. Die ersten Tropfen werden gekostet – und das tiefe Unverständnis setzt ein darüber, warum um derart unangenehm Schmeckendes so ein Theater gemacht wird. Die einen unternehmen Erkundungsgänge im väterlichen Keller. Andere sind so artig, den Eltern bei einer Weinprobe im Urlaub umsichtig die Gläser abzunehmen und vor dem Wegstellen die Reste zu leeren. Es gibt viele Wege zum ersten Rausch; man muß ihn nicht suchen, er findet einen gewöhnlich von selbst.
Es kommt dann das »Trinken, obwohl es nicht schmeckt«, das »Trinken zum Erwachsenwerden«, das Trinken als Bestandteil der sogenannten rites de passage , institutionalisiert in den ersten von den Eltern genehmigten Gläschen zur Feier der Konfirmation oder der Jugendweihe – wobei nicht wenige Vierzehnjährige ihre Verwandtschaft bei solchen Feiern bereits durch beträchtliche Trinkfestigkeit beeindrucken können.
Bei meiner eigenen Konfirmation war mir allerdings ein wenig schlecht. Es ist nicht meine Schuld, daß Konfirmationsgottesdienste ausgerechnet am Sonntagmorgen stattfinden, am Tag nach dem Tag, an dem der
Mensch, gerade der junge, gern ausgeht und über die Stränge schlägt. So kniete ich da mit meinen noch recht zittrigen Beinen, und der Pfarrer legte seine kühle Hand auf mein Haupt und sprach ganze Ewigkeiten lang seinen Sermon, währenddessen mein Blick an seinem behaarten Unterarm entlang in die Tiefen seines weiten Soutanenärmels zu gleiten verdammt war, bis mir schwarz vor Augen wurde. Als mir hinterher beim Abendmahl der Kelch mit dem Wein unter die Nase gehalten wurde, war das leider der Moment, in dem ich der Kirche wahrscheinlich für immer entglitt.
Es war nicht nur der säuerliche Schweldampf warmen Weins am Morgen, der mich da fertigmachte. Es war der gesammelte Speichel derer, die vor mir an der Reihe waren, und daß der Pfarrer bei jedem den Kelch ein Stückchen drehte, machte es nicht besser; umso deutlicher sah man den Sabber der anderen am Rand herunterfließen. Ich bin bis heute der Überzeugung, daß die Kirchen weniger Mitgliederschwund hätten, wenn der Wein besser wäre – und jeder seinen eigenen
Weitere Kostenlose Bücher