Über das Trinken
angemessenes und geradezu vernünftiges
Trinkverhalten: Wenn es ohnehin weniger um Geschmack und Qualität geht als um die Wirkung, sind auch die Alkoholika absolut hinreichend, die man vom Taschengeld bezahlen kann. Es ist selten, daß Siebzehnjährige schon ihre Erfüllung darin finden, gelegentlich mit Kennermiene eine Flasche Château Figeac zu dekantieren.
Aber es ist nicht so ganz ausgeschlossen, daß einer, dem es mit zwanzig noch vor allem darum geht, sich restlos vollaufen zu lassen, der möglichst schnell bedröhnt sein und möglichst kostengünstig seinen Vollrausch haben will – daß so einer im weiteren Verlauf seines Lebens zum sensiblen Genußtrinker zurechtwächst, der mit dem Weinhändler seines Vertrauens kenntnisreich über Aromen, Bouquets und Abgänge zu plaudern versteht. In dieser Epoche der jeweiligen Trinkgeschichte ist das gesellschaftliche Ansehen dann plötzlich am höchsten. Problematisch wird es erst wieder, wenn nach dem »Geselligkeitstrinken« und dem »Genußtrinken« das »einsame Trinken« einsetzt, das »heimliche Trinken«, das »Trinken, um zu vergessen«: das »traurige Trinken der Alten«.
Vielleicht, wer weiß, müßte das gar nicht so traurig sein, wenn es eben nicht so heimlich stattfinden müßte. Wenn nicht sogar Punkrock-Sänger der Meinung wären, öffentliche Trunkenheit schicke sich ab einem bestimmten Alter nicht mehr. Aber das ist nur eine Vermutung.
Was damit nur angedeutet werden soll: Selbst für die sehr schlimme Jugend von heute gibt es Hoffnung. Wenn man es denn eine Hoffnung nennen will, daß aus den Komasäufern von heute höchstwahrscheinlich die ganz normalen Leute von morgen werden – und die verbitterten Rentner von übermorgen.
VI. Kann die Philosophie das Trinken rechtfertigen?
Ich trinke, also bin ich · Ein Philosoph will sich den Wein nicht nehmen lassen · »Binge Drinking« · Gute Tropfen, böser Hopfen? · »Gin Lane« und »Beer Street« · Platons Symposion und Kampftrinken am Stammtisch · In vino civilitas
Trinken ist also nicht gleich Trinken. Es gibt offenbar so etwas wie gutes Trinken und böses, richtiges und falsches. Jedenfalls in der öffentlichen Wahrnehmung. Einer, der sich die Mühe gemacht hat, diese Unterscheidung ganz genau herauszuarbeiten, ist der englische Philosophieprofessor Roger Scruton. Scruton ist der Autor des Buches »I drink, therefore I am«, welches, wie der Titel ahnen läßt, sehr gelehrt und ein bißchen eitel ist. Immerhin setzt es mit der Erkenntnis ein, daß das Trinken zwar das Leben verkürzen mag, ein langes Leben unter Leuten, die nie die zivilisierenden Segnungen des Alkoholgenusses kennengelernt haben, also ein Leben unter lauter steinalten, verbitterten Abstinenzlern aber auch gar nicht erstrebenswert sei.
Dieser Roger Scruton trinkt, wie er in seinem Buch ausführlich darlegt, sehr gern Wein. Um sein eigenes Trinken der Kritik zu entziehen, hat Scruton deshalb an
anderer Stelle (nämlich im »Standpoint« vom Juni 2009, »In vino veritas – I’ll drink to that) eine bezeichnende Unterscheidung definiert zwischen »virtuous drinking« und »vicious drinking«, dem tugendhaften Trinken und dem verderblichem – oder auch dem reifen Trinken und dem unreifen. Denn der Philosoph möchte sein gepflegtes Weinkennertum nicht in einen Topf geschmissen sehen mit dem, was Wochenende für Wochenende in den Pubs passiert, vor den Pubs weitergeht und in den Straßengräben endet, dem sogenannten »binge drinking«, der alten Geißel Englands: dem massenhaften und gezielten Wegsaufen des Bewußtseins.
Auffällig ist, daß diese Unterscheidung zwischen richtigem und falschem, zwischen kultiviertem und vulgärem Trinken in England schon eine alte Tradition hat – und daß es dabei immer die einheimischen Trinkgewohnheiten sind, die verurteilt werden. Immerhin hatte schon der englische Maler William Hogarth Gut und Böse in zwei berühmten moralisierenden Graphiken gegenübergestellt. Beide Blätter zeigen Straßenszenen. Die eine heißt »Beer Street«, die andere »Gin Lane«. In der »Gin Lane« geht es drunter und drüber, überall Verwahrlosung, Säuferwahnsinn, nackte Gewalt und, als besonders schockierendes Detail, sieht man im Vordergrund eine stockbetrunkene Mutter, die teilnahmslos ihr hilfloses Baby von einer Brüstung in die Tiefe stürzen läßt. In der »Beer Street« währenddessen: aufgeräumteste
Stimmung, gesellige Gesichter, geputzte Häuser, ein Prosit der
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