Über das Trinken
Kelch bekäme.
Was das gemeinschaftsbildende Erlebnis betrifft, ist das jugendliche Experimental- und Wirkungstrinken aber auch nicht ohne: In jener Phase meines Lebens kannte ich Leute, die ihr Bier in »Trommeln« trinken gingen. Das heißt: Sie bestellten beim Kellner so viele Gläser wie auf sein rundes Tablett, fachsprachlich: »Trommel«, paßten.
Das waren etwa 24 Gläser. Und die tranken sie nacheinander aus. Das berechtigte Kalkül bestand darin, daß sie sonst nach dem zehnten vom Wirt womöglich keins mehr bekommen hätten; und was man hat, das hat man.
Die Kneipen hatten trübsinnige Namen, Neonröhren plärrten ihr Licht von den Decken, und auf den Kunststofftischplatten schwamm ein Bierfilm, den der Wirt beim Servieren manchmal mit dem Unterarm herunterwischte, dann machte es Klatsch, und weiter ging es. Dumpf war die Atmosphäre solcher Tränken, bitter war das Bier, und unerbittlich war die Schlucknorm. Daran muß immer mal wieder erinnert werden, in einer Welt, in der Jugendliche mit sensibel in die Stirn gekämmten Caspar-David-Friedrich-Frisuren ungestraft am »Beck’s Gold« nuckeln dürfen oder wie auch immer diese ins Damenhafte umgestylten Jugendbiere heute sonst noch heißen mögen. Ungestraft jedenfalls von maskulinistischen Mittrinkern, die einem früher dafür die Hölle heiß gemacht hätten.
Früher, scheint mir ernsthaft, waren die Riten rauher. Ich sehe noch den Skinhead, der wüst mit seinesgleichen zechte. Es ging darum, den Kopf des »Langhaarigen« draußen mit aufgesperrtem Mund auf den Kantstein zu drapieren; und es ging darum, dann von oben mit dem Nagelstiefel draufzustampfen, eine damals recht beliebte Übung bei solchen Leuten. Es stand nur nicht immer am anderen Tag gleich in der Zeitung.
»Wer hier wem aufs Maul haut, das bestimme ich …«, beschied der Skinhead, den ich zum Glück kannte. Und dann tranken sie darum. Und sie hörten nicht auf damit, bis der andere sich in die Hosen machte, sabberte, brach und also rundum naß gemacht vom Schemel rutschte. Eklig war es.
Überhaupt war es viel, viel ekliger früher. Davon machen sich die, die heute über die Jugend klagen, keine Vorstellung mehr. Die Gestalten, die in ihren Ausscheidungen schlummerten – das kennt man heute gar nicht mehr. Früher dagegen ein geläufiges Bild bei rustikalen Feiern, und keineswegs immer ein Grund, sich zu schämen. Im Gegenteil: Oft wurde noch bis zur nächsten Kirmes stolz davon erzählt.
Gegenstand geselliger Runden waren Geschichten wie die des T., der mit Freunden zelten war und nach einem Gelage im Dorfkrug heimgetragen werden mußte; der später in der Nacht, als er sich erbrechen mußte, wenigstens noch die Geistesgegenwart besessen hatte, den Reißverschluß des Zeltes herunterzuziehen und sich nach draußen zu erleichtern, um – absehbarste aller Pointen – danach erst zu bemerken, daß er gar nicht im Zelt abgelegt worden war, sondern davor.
Geschichten wie diese wurden tausendfach erzählt, womöglich auch tausendfach erlebt. Urban Myths – nur daß sie eben auf dem Lande spielen.
Der Ekel über die Rohheiten der eigenen Jugend ist
es, was uns später beim Champagnertrinken den kleinen Finger abspreizen läßt. Vielleicht ist es ja doch nicht in jedem Falle so, daß solche Exzesse unmittelbar ins Verderben führen, vielleicht verhelfen sie in manchen Fällen eher zur Läuterung. Und, wer weiß, vielleicht sind es gar nicht einmal so wenige.
Viele unternehmen Interrail-Touren in diesem Alter und wissen fortan, wo sie sich wohlfühlen und wo nicht. Warum sollte das mit den Interrail-Touren an die Grenzen des Erträglichen anders sein? Damit unterwegs keiner verlorengeht, ist es ratsam, sich in großen Gruppen auf den Weg zu machen. Es gibt Stimmen, die fordern einen Alkoholunterricht an den Schulen. (So neulich etwa ein Berliner Suchtexperte mit dem Namen Johannes Lindenmeyer.) Es gibt sogar Väter, die ihre Söhne beim ersten Vollrausch betreuend begleiten, um hinterher Folgerichtigkeit und Sinn des Katers zu erklären. (So ebenfalls dieser Lindenmeyer; hat er zumindest im Radio so erzählt.)
Von hier an beginnt jedenfalls eine lange Phase, die man als »Trinken, um dazuzugehören« bezeichnen müßte und in der das »Trinken, obwohl es eigentlich noch gar nicht schmeckt« konsequenterweise erst einmal in das »Trinken, um betrunken zu sein« mündet. Wenn man es nüchtern betrachtet, ist das gerade für Jugendliche eigentlich ein sehr
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