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Über das Trinken

Über das Trinken

Titel: Über das Trinken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Richter
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das wirklich immer schlimmer? · Trinken, obwohl es nicht schmeckt · Trinken zum Erwachsenwerden · Trinken, um dazuzugehören · Trinken, um betrunken zu werden · Und warum trotzdem alles noch gut werden kann
    Sie treffen sich auf Flatrate-Partys, wo sie zum Pauschalpreis saufen dürfen, soviel sie schaffen. Manche holen sich vorher schon was von der Tankstelle, zum »Vorglühen«. Am Ende landen sie vergiftet in der Notfallambulanz und sind, wenn sie die Augen wieder aufmachen können, auch noch stolz darauf. Oder sie fallen ins Koma, wie neulich ein Sechzehnjähriger nach einem Tequila-Wettrinken in Berlin, und wachen nie wieder auf. Manche sind noch keine 14 Jahre alt und haben schon bleibende Schäden davongetragen. Aber das ist nichts gegen die Schäden, die sie anderen zufügen. Es gab Zeiten, da las man fast jede Woche von einem Erwachsenen, der in Bus oder Bahn von Halbwüchsigen halbtot geprügelt wurde, manchmal auch ganz tot. Und fast immer spielte Alkohol dabei eine Rolle. Immer jünger, immer mehr, immer enthemmter: Wer einigermaßen
regelmäßig Zeitung liest, muß zu dem Schluß kommen, daß es mit den Alkoholexzessen unter Jugendlichen immer schlimmer wird.
    Aber wird es das wirklich?
    Wer statt Zeitungen Bücher hernimmt und statt Polizeiberichten die Statistik, der kommt hier zu weniger eindeutigen Ergebnissen. Zum Beispiel sagen diese Statistiken, daß sich der Anteil der 12- bis 25jährigen, die mindestens einmal pro Woche Alkohol trinken, seit 1973 halbiert hat.
    Und zum Beispiel sagt der Bücherschrank, daß etwa zur gleichen Zeit, in den Siebzigern, ein gewisser James Moffat in Großbritannien beträchtlichen Erfolg damit hatte, saufenden und prügelnden Schulkindern Bücher über saufende und prügelnde Schulkinder zu verkaufen. Er tat dies unter dem Pseudonym »Richard Allen«, und er stand in dem Ruf eines Mannes, der die Zeit, die er für seine Romane brauchte, nicht nach Tagen oder Wochen bemaß, sondern nach ausgetrunkenen Bierflaschen. Seine Romane waren allen Pädagogen und Eltern damals natürlich ein Beleg, daß es immer schlimmer werde mit der Jugend  – welche heute ihrerseits in dem Alter ist, in dem man sich über saufende und raufende Halbstarke empört.
    Ebenfalls in dieser Zeit erschien der Film »A Clockwork Orange«  – und die Romanvorlage ist sogar noch ein Jahrzehnt älter. Alex DeLarge und seine Droogs  – bis
heute sind das die Urvorbilder aller Schulpflichtigen, die sich erst etwas reinpfeifen und dann ihre Umwelt tyrannisieren gehen, und Alex und seine Droogs mochten zwar nur Milch getrunken haben  – aber in dieser Milch waren dann gleich halluzinogene Drogen.
    Und wo wir gerade bei den härteren Rauschgiften und den Jugendjahren der heute Älteren sind: Da wären noch die »Kinder vom Bahnhof Zoo«, das Buch und der Film. Es macht nichts besser an dem Fall jenes Sechzehnjährigen, der sich in Berlin in ein tödliches Koma getrunken hat. Aber es zeigt, was in der Stadt in den Siebzigerjahren die Schlagzeilen bestimmte: der Herointod von Dreizehnjährigen.
    Noch vor zehn Jahren sah es vor den Bahnhöfen der meisten westdeutschen Großstädte aus wie in einem Zombiefilm. Die schleichenden Junkies, die oft noch nicht einmal volljährig waren, aber immer so entsetzlich viel älter aussahen, als sie jemals werden würden, sie sind seitdem nahezu restlos aus dem Stadtbild verschwunden. Es kann sein, daß hartherzige Stadtpolitiker sie sonstwohin verbannt haben. Ich habe nur den Eindruck, sie sind in genau dem gleichen Maß verschwunden, in dem die Komasäufer mit ihren bunten Fertigmixgetränken aufgekommen sind.
    Könnte es sein, daß aus den Kindern vom Bahnhof Zoo die Alkopopper von der Tankstelle geworden sind? Die Zahlen deuten darauf hin.

    Die beiden Grundlebensweisheiten »Alles wird immer schlimmer« und »Früher war alles besser« schaffen es hier, in einen interessanten Widerspruch zu geraten. Daß die Jugend noch nie dermaßen sittlich und charakterlich verwahrlost war wie heute, das beklagt der ältere Mensch, wie man weiß, seit Anbeginn der Zeiten. Diese Klage hat etwas Ewiges, sie hat ihren Sinn, und sie ist in der Ordnung. Was dann aber eigentlich nicht geht, ist: dieser Jugend durch solche Vorwürfe zuzugestehen, mehr zu trinken und mehr Unfug zu veranstalten, also mehr zu vertragen und wilder, krasser, hemmungsloser drauf zu sein als man selber früher. Denn das widerspricht den ehernen Gesetzen des Generationendünkels, wonach die jeweils

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