Ueber Den Deister
sein Plan gewesen, als unerwartet das Telefon klingelte: Erich Falkenberg war am Apparat. Marder freute sich, Erichs Stimme zu hören, er hatte seit einigen Monaten nicht mit ihm gesprochen. Er scheute sich, seinen ehemaligen Chef zu oft anzurufen, schließlich war Erich ein wichtiger Mann im Kampf gegen das Verbrechen in Niedersachsen, der in einem großen Büro mit eigenem Konferenztisch in der Führungsetage der Polizeidirektion residierte. Im letzten Sommer hatten sich die Marders und Falkenbergs zweimal zu Radtouren getroffen, einmal waren sie an der Unterelbe entlang geradelt, mit einem Abstecher durch die Obstplantagen im Alten Land, das andere Mal hatten sie das Steinhuder Meer umrundet. Die Fahrt um den größten See Niedersachsens hatte Marder beeindruckt, der ständige Wechsel von Wiesen, Wald, Moor, Geest, Badestränden, Vogelschutzgebieten, Campingplätzen und Fischrestaurants auf einer Strecke von knapp dreißig Kilometern hatte ihn überrascht.
Als Marder nun Erichs Stimme hörte, hoffte er, sein Freund riefe an, um sich für einen Ausflug zu verabreden. Das war nicht der Fall. Erich Falkenberg kam nach einigen freundlichen Worten schnell zum eigentlichen Grund seines Anrufs.
»Manfred, erinnerst du dich an Matuschek? Blöde Frage, entschuldige. Natürlich erinnerst du dich an Matuschek, du bist ja damals extra wegen ihm nach Barsinghausen gefahren, und es war dein letzter wichtiger Fall, bevor du in Pension gegangen bist.«
Wie hätte Marder seinen Kollegen Alfred Matuschek und dessen Tod vergessen sollen? Kommissar Matuschek hatte sich das Leben genommen, indem er in einem Teich den Tod durch Ertrinken gesucht und leider auch gefunden hatte; nur einen Monat nach seiner Pensionierung. Das Tragische an seinem Tod war, dass er ihn am Abend vorher seinen Familienangehörigen in einem Brief angekündigt hatte, aber weder seine Frau Vera noch seine beiden Kinder Bertram und Anja hatten diese Drohung ernst genommen – oder ernst nehmen wollen. Die Familie war seit Jahren zerstritten gewesen, eine erschreckende Lieblosigkeit hatte zwischen dem Kommissar, seiner Frau und den Kindern geherrscht. Allerdings hatte Alfred Matuschek diese Situation durch seine Selbstherrlichkeit und Eigenbrötelei weitgehend selbst verursacht. Nachdem Marder die Verhältnisse in der Familie offengelegt und die Angehörigen damit konfrontiert hatte, suchten weder Matuscheks Frau noch seine Kinder einen Teil der Schuld bei sich selbst. Keiner von ihnen gab vor,Trauer über Matuscheks Ende zu empfinden.
»Ja, was ist mit Matuschek? Das ist jetzt bald zwei Jahre her, aber ich kann mich noch an alle Einzelheiten erinnern.«
»Vera ist weg.«
Marder hatte mehrmals mit Vera Matuschek während seiner Ermittlungen gesprochen. Er empfand keine Sympathie für diese Frau und fühlte sich in ihrer Nähe nicht wohl. Ihm schien, dass alles, was sie tat, aus Berechnung und zu ihrem eigenen Vorteil geschah.
»Was heißt das: Vera ist weg?«
Er fragte sich im gleichen Moment, was es ihn anging, dass Vera verschwunden war. Er hätte das Gespräch mit Erich an dieser Stelle gern beendet und wieder die Betrachtung der Libellen im Kunstflug und Kampf über seinem Gartenteich aufgenommen, aber das konnte er Erich Falkenberg nicht antun. Marder wartete auf weitere Erläuterungen.
»Also, Manfred, pass auf. Es ist eine eher private Sache und keine offizielle Anfrage. Du erinnerst dich bestimmt an Brenner, den damaligen Mitarbeiter von Matuschek, der nach einer kurzen Übergangszeit sein Nachfolger wurde.«
»An Brenner kann ich mich gut erinnern. Der war noch zu Lebzeiten von Matuschek mal mit dessen Tochter befreundet. Als ich in Barsinghausen war, hatten sie sich aber wieder getrennt. Aber Brenner hat doch bestimmt nichts mit Veras Verschwinden zu tun.« Marders Interesse erwachte langsam.
»Also, direkt nicht, aber indirekt irgendwie schon. Es ist richtig, dass sich Brenner und Anja getrennt hatten, aber inzwischen sind sie wieder zusammen.«
Marder fiel es schwer, das zu glauben. Die beiden waren sowohl über Matuschek als auch übereinander kräftig hergezogen, als er sich mit ihnen unterhalten hatte. Nun sollten sie wieder ein Paar sein, das Leben war voller überraschender Liebesgeschichten.
»Sag schon, Erich, was hat Brenner mit Vera zu tun?«
»Brenner selbst wahrscheinlich nichts, aber er hat mich informiert, dass Vera verschollen ist – allerdings nur inoffiziell, es gibt keine offizielle Vermisstenmeldung. Anja hat ihm gesagt,
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