Ueber den Himmel hinaus - Roman
er gleich aufbricht. Er hat eine lange Reise vor sich«, sagte Mama gepresst.
Jetzt erschien auch Onkel Viktor an der Tür. »Also, Mädchen, seid brav und macht keinen Unsinn. Lena, hör auf zu weinen. Bei deinen Tränen bekomme ich ja ein schlechtes Gewissen! Ein Mann muss nun einmal arbeiten.«
Lena rappelte sich auf und umklammerte seine Beine, und er tätschelte ihre Schulter, den Blick abgewandt. »Na, na. Tante Stasja wird sich um euch kümmern. Kein Grund zu weinen. Bis zu deinem Geburtstag bin ich wieder da.«
Natalja hielt sich im Hintergrund, das Kinn tapfer nach vorn gereckt, und tat, als würde ihr das alles nichts ausmachen, doch Sofi durchschaute sie und war froh, zu Hause bei ihren Eltern zu sein. Schönheit allein machte noch lange nicht glücklich, schloss sie.
Bis zu dem Tag, an dem ihre Cousinen bei ihnen eingezogen waren, hatte Sofi eine äußerst ruhige, ja, geradezu beschauliche Kindheit verlebt. Nun war die Wohnung erfüllt von Lärm, Ellbogen und langen Haaren. Sofis Einstellung zu den veränderten Lebensumständen schwankte stündlich. Teils freute sie sich darüber, genoss die Spiele und das Gekicher, dann wieder hätte sie Lena und Natalja am liebsten ausgesperrt, um in Ruhe malen zu können. Ihre Cousinen versuchten, sich in den Familienalltag einzugliedern, wobei Natalja ihren Pflichten im Haushalt nur äußerst widerstrebend nachkam.
Am Samstagabend spielten sie wie immer Karten. Papa erklärte die Regeln. Lena war sichtlich verwirrt, Natalja
lauschte angestrengt, die Stirn in Falten gelegt. Sofi nahm ihre Karten - ein mittelmäßiges Blatt - zur Hand und legte sich eine Strategie zurecht.
»Du fängst an, Lena«, sagte Papa.
Lena starrte auf ihre Karten und legte dann zögernd ein Ass auf den Tisch.
»Nicht die, du Dummerchen«, schalt Sofi, worauf Lenas Oberlippe zu zittern begann und sie ihre Hand sinken ließ.
Papa zog sie auf seinen Schoß und küsste sie auf den Scheitel. »Sie ist wohl noch zu klein«, sagte er. »Du kannst bei mir mitspielen, Lena.«
Auch Natalja hatte sichtlich Mühe, die Regeln zu behalten. Schon nach kurzer Zeit sah es aus, als würde sie verlieren, doch dann spielte Mama eine falsche Karte aus.
»Ach, stimmt ja, das war ein Trumpf. Wie dumm von mir!«, rief sie, als Natalja eine Herz Zehn zückte und Mama auf ihrer letzten Karte sitzen blieb.
Sofi wusste, dass ihre Mutter absichtlich einen Fehler gemacht hatte, damit Natalja nicht verlor, und das ärgerte sie. Ihre Eltern ließen sie nie gewinnen. Wenn sie verlor, dann verlor sie. Und jetzt hatte Mama »versehentlich« eine Trumpfkarte abgelegt. Ein Anfängerfehler, wie ihn Lena vorhin gemacht hatte.
Nach nur vier Runden erklärte Papa das Spiel für beendet.
»Aber sonst spielen wir doch immer bis um acht!«, protestierte Sofi.
Doch Natalja war schon aufgesprungen, und auch Lena kletterte erleichtert von Papas Schoß.
Mama sah zu den beiden Mädchen, die auf dem Sofa die Köpfe zusammensteckten und kicherten, und bedeutete Sofi, ihr ins Bad zu folgen, wo sie ungestört reden konnten.
Sie setzte sich auf den Badewannenrand und nahm Sofi zwischen die Knie.
»Deine Cousinen haben keine Mutter mehr, und ihr Vater ist weit weg. Wir müssen nett zu ihnen sein.«
»Und was ist mit mir? Was ist mit unserem Spieleabend?«
»Den holen wir ein andermal nach, vielleicht nur wir zwei. Du willst doch nicht, dass sich Lena und Natalja dumm vorkommen. Ihr Leben ist auch so schon schwierig genug.«
Mama nahm Sofis Hände und küsste sie. »Ich habe dich noch genauso lieb wie vorher.«
Sofi spürte, wie ihr eine Träne über die Wange lief.
»Und Papa auch«, fügte Mama hinzu.
Sofi nickte.
Mama erhob sich und zog sie an sich. Sofi vergrub das Gesicht an ihrer warmen Brust und sog ihren vertrauten Geruch ein.
Es war ein besonders schwüler Sommer. Lena fand die Nächte unerträglich und schwitzte bei geschlossenem Fenster das Bettzeug durch, doch bei geöffnetem Fenster kamen die Mücken aus den Sümpfen im Umland herein. Und wenn Lena dann wider besseres Wissen ihre Stiche blutig kratzte, bis der Schweiß in ihren offenen Wunden brannte, verdrehte Natalja die Augen und schalt sie ein Baby.
Abgesehen davon gefiel es Lena in Leningrad. Tante Stasja war nett, und Onkel Iwan, der Papa sehr ähnlich sah, strahlte Verlässlichkeit aus. Sofi dachte sich lustige Spiele aus, und Natalja hackte weniger auf ihr herum, wenn sie zu dritt waren. Jeden Donnerstagnachmittag, wenn Tante Stasja in der
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