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Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Titel: Ueber den Horizont hinaus - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Lenz
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anrufen würde. So sehr er sich auch bemühte vorzugeben, dieser wäre jemand anderes gewesen, es gelang ihm nicht.
    Dieses Mal nicht, und auch das nächste Mal nicht.
    Sie alle waren jung, gerade in ihren Zwanzigern. Sie alle trugen Ähnlichkeiten und sie alle ließen sich von ihm behandeln, so wie er es wollte.
    Er wechselte den Ort, nahm sie mit in sein Bett, in Carolas Bett und entweihte dieses.
    Danach hasste er sich noch mehr als zuvor. Er war nahe daran, die Laken zu verbrennen, die Matratze aus dem Fenster zu werfen, entschied sich dann doch, als er wieder klar denken konnte, Carola mit einem neuen Bett zu überraschen.
    Kurz bevor sie wiederkam, gewöhnte er sich an, diskrete Hotels zu benutzen, immer andere, aber immer Etablissements, die den jungen Männern, die er mitnahm, Freude machten.
    Er schaffte es durch den Tag, durch die Anrufe bei Christian, die Auseinandersetzungen mit seinem Vater, weil er wusste, was auf ihn wartete.
    Und jedesmal wieder hoffte er auf die unwahrscheinliche Chance, auf die Möglichkeit, dass die Illusion dieses Mal perfekt wäre, dass sie ihm anstelle von kurzer Befriedigung mit anschließend unvermeidlich folgendem Selbsthass, das geben konnte, was er suchte. Ohne, dass er bislang genau wusste, wonach er suchte.
    Denn der Einzige, der die Sehnsucht in ihm stillen konnte, war unerreichbar für ihn.
    Olaf distanzierte sich innerlich von Carola, auch wenn er lange nicht wusste, ob sie es überhaupt registrierte.
    Denn sie schliefen weiter miteinander. Er liebte sie zart und vorsichtig, als bäte er um Entschuldigung, als fürchte er sich, sie wirklich anzufassen.
    Es schien ihr nichts auszumachen und Olaf ergab sich in dem kurzen Gefühl eines falschen Friedens, einer falschen Geborgenheit, das sie ihm verschaffte.
    Doch seine Schuld wuchs und gleichzeitig seine Schwäche. Er fand kein Entrinnen, keine Ausflucht aus den Emotionen, die ihn quälten. Und so begann er sich daran zu gewöhnen, an die Heimlichkeiten, an die wachsende Schuld, an den Selbsthass.
    Er warf sich in die Arbeit, bereitete sich darauf vor, die Zweigstelle der Firma in der Stadt zu führen, die erste Aufgabe, die ihn mit Verantwortung überhäufte und ihm genug Stress verschaffte, dass er zumindest während der langen Arbeitsstunden weder an Christian, noch an die Männer denken konnte, die ihm so ähnelten.
    Er wurde blasser und nahm ab.
    Carola betrachtete ihn des Öfteren mit einem Stirnrunzeln, fragte ihn hin und wieder, ob er sich nicht überarbeite. Und Olaf war sich sicher, dass sie etwas fühlte, dass sie vielleicht sogar eine Ahnung hatte von dem Ausmaß seines Verbrechens.
    Und doch blieb sie bei ihm, lebten sie miteinander, nebeneinander her und die Zukunft breitete sich vor Olaf wie ein dunkles Moor aus, in dem nichts Anderes existierte, als das Wissen seines unvermeidlichen Versinkens in unwiederbringlichem Schwarz.
    *
    Aber da gab es noch den Handel mit Hannibal und Christians Prüfungen rückten näher.
    „Bemühe dich“, sagte Olaf ihm am Telefon. „Knie dich mit all deiner Kraft hinein. Zeige ihm, dass du tust, was er will, dass er sich auf dich verlassen kann. Dann besteht auch die Chance, dass er dir deine eigene Meinung zugesteht.
    Dann habe ich etwas in der Hand, mit dem ich ihn überzeugen kann, mit dem ich verhandeln, das ich in die Waagschale werfen kann.“
    „Du weißt besser, wie er tickt“, antwortete Christian leise und seufzte.
    Olaf konnte ihn vor sich sehen, wie der den Hörer an sein Ohr presste, wie sein Haar über die Augen hing, seine Gestalt müde und gekrümmt auf ihrem Stuhl saß, alle Hoffnungen auf ihn richtete.
    „Bei mir in der Nähe bieten sie die Ausbildung als Sanitäter“, sagte er dann. „Es geht wohl hauptsächlich darum, Krankenwägen zu fahren und Transporte zu übernehmen, doch es zählt als Zivildienst.“
    „Oh Gott, das würde ich so gerne tun“, sagte Christian. „Alles, alles, wenn ich nur bei dir sein könnte.“
    Olafs Herz krampfte sich zusammen. „Sag nicht so etwas“, entkam es ihm herrischer als beabsichtigt.
    „Du bist stark genug, um alles zu tun, was du dir vornimmst. Dazu brauchst du niemanden.“
    ‚Schon gar nicht mich‘, fügte er im Stillen hinzu. ‚Mit Sicherheit nicht mich‘, dachte er. ‚Du bist nicht sicher mit mir um dich. Nicht mehr.‘
    „Du hast wohl recht.“ Christians Stimme klang schmal und verletzt und Olaf wünschte sich, er könnte den anderen aufrütteln, schütteln, ihm das Selbstvertrauen einflößen,

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