Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
Vom Netzwerk:
kann ich gehen. Ich werde zu den Milahanska laufen und sie um Essen bitten. Sie werden mich fragen, wo ich herkomme, und ich werde ihnen erzählen, daß die Bärenbande im Strom ertrunken ist, als unsere Männer und Frauen übersetzen wollten. Wenn nur …« Hapedah zögerte.
    »Was ist?« fragte Tschaske aufgeregt. »Warum bist du wieder bedenklich?«
    »Die Milahanska haben lange Augen .« Hapedah meinte die Feldstecher. »Können sie damit auch durch die Hügel hindurchsehen?«
    »Nein«, beruhigte Ihasapa, »das können sie nicht. Sie können nur sehr weit schauen.«
    »Gut. Sie sehen also die Krieger und Frauen der Bärenbande ebensowenig wie wir. Ich kann meine List gebrauchen!«
    »Das kannst du. Versuche es. Die Milahanska sind eine große Gefahr für die Unsern.«
    Hapedah machte sich auf den Weg. Er kroch auf der den Dragonern abgewandten Seite des Hügels herunter, richtete sich im Wiesental auf und lief vorsichtig erst stromaufwärts. Als er eine nicht zu kleine Entfernung zurückgelegt hatte, ließ er sich nieder und verursachte Spuren, als ob er an dieser Stelle gelagert und geschlafen habe. Dann stand er wieder auf und wanderte kreuz und quer durch die wellige Landschaft. Endlich erklomm er eine Anhöhe in der Nähe der Truppe, legte sich erst flach auf den Kamm und richtete dann den Oberkörper auf. Als er bemerkte, daß der Mann in Lederkleidung seiner gewahr geworden war, stand Hapedah ganz auf und winkte.
    Der lederbekleidete Mann bei der Truppe winkte zurück, daß Hapedah herankommen möge.
    Der Dakotajunge setzte sich in Trab, um schnell auf den Hügel zu den Dragonern zu gelangen. Die Soldaten lagerten, aßen, rauchten und schwatzten. Als der Indianerknabe kam, verstummten die Gespräche, und alle betrachteten ihn neugierig. Der Mann in Lederkleidung, wahrscheinlich der Scout, nahm sich den fremden Jungen sogleich vor. »Wo kommst du denn her?«
    Hapedah verstand die Gesten; er hatte sich auf der Reservation mit Tschapas Hilfe auch schon Worte und Redensarten der Grenzersprache angeeignet. »Von drüben komm ich«, sagte er.
    »Und wie bist du da herübergekommen? Doch nicht etwa jetzt über das Wasser?!«
    »Doch«, versicherte der Dakotaknabe, »jetzt über das Wasser. Die anderen sind alle ertrunken.« Er machte ein tieftrauriges Gesicht.
    »Was für andere?«
    »Die Krieger und Frauen und Kinder der Bärenbande vom großen Stamm der Dakota.«
    »Donner … die Bären … komm, setz dich mal her. Das müssen wir ganz genau hören!« Der Scout erklärte das Gesprochene einem jungen Offizier, der die Streifschar führte. Dieser gab dem Scout verschiedene Anweisungen, die Hapedah nicht verstehen konnte. Aber der Scout erklärte dem Jungen, was der Offizier befohlen hatte. »Du bleibst jetzt bei uns. Du brauchst keine Angst zu haben. Du bekommst bei uns zu essen, und später kannst du auch bei uns in die Schule gehen. Wir nehmen dich mit auf unser großes Fort. Dort berichtest du dem Kommandanten, was aus der Bärenbande und Tokei-ihto geworden ist. Verstanden?«
    »Ja«, antwortete Hapedah tief erschrocken, »aber ich will gar nicht bei euch bleiben. Ich bin auf dem Weg zu unseren Verwandten nach Canada.«
    »Zu welchen Verwandten?« Der Scout wurde mißtrauisch.
    »Dakota am Sourisfluß«, antwortete Hapedah kurz.
    »Kenne ich nicht. Ich dachte schon, du willst zu Sitting Bull und seinen Leuten davonlaufen, zu dem Hetzer und Custermörder, der sich noch immer herumtreibt. Denke nicht an so etwas! Die hungern drüben schon jämmerlich, denn es gibt auch dort keine Büffel mehr.«
    »Also soll ich bei euch bleiben?«
    »Du bist ein kleiner Junge, und du tust, was wir dir sagen, da gibt es kein Wenn und kein Aber. Hier, du kannst mit uns essen, dürr genug siehst du aus. Bei uns leidest du keine Not, da wirst du dick und rund und lernst lesen und schreiben.«
    Hapedah sagte nichts mehr. Der Name Sitting Bull hatte ihn tief bewegt. Er war um so mehr entschlossen zu fliehen. Aber er wußte noch nicht, wann ihm das gelingen konnte. Jetzt, am hellen Tag, war es unmöglich. Er aß, was er erhielt, fand, daß alles schlecht schmeckte, und legte sich dann in die Sonne, scheinbar um zu schlafen. In Wahrheit arbeiteten seine Gedanken, und er öffnete die Augenlider immer wieder zu kleinen Schlitzen, um die Feinde unbemerkt zu beobachten.
    Die Dragoner gönnten sich eine stundenlange Rast. Als der junge Offizier den Befehl zum Aufbruch gab, war es schon früher Nachmittag. Der Scout nahm Hapedah vor sich

Weitere Kostenlose Bücher