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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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dem gleich kühnen, gleich verratenen und besiegten, zu dem ausgezehrten, von Krankheit geschüttelten und immer noch aufrechten Mann. Er öffnete die Arme und zog den Jüngeren an seine Brust.
    »Mein Bruder!« sagte er noch einmal, sehr leise. »Ich habe nicht mehr geglaubt, daß ich dich noch einmal wiedersehe.«
    »Du bist mein Häuptling, Tashunka-witko, darum komme ich zu dir.«
    Den Männern standen die Tränen in den Augen. Sie schämten sich nicht voreinander. Aus ihren Zügen verlor sich die Gespanntheit, und es breitete sich jene Trauer darüber, die das Menschenantlitz des Unterlegenen soviel edler macht als das des glücklichen Siegers.
    Sie lösten die Arme wieder, und mit der stummen und unsicheren Verlegenheit, die den hart gewordenen Menschen nach der Äußerung eines Gefühls beschleicht, wichen sie sich aus, mit den Augen, mit den Schritten, fast auch mit den Gedanken. Dann fanden sie zu dem Gleichmut zurück, den sie von Kind auf erlernt hatten. Es war die schlichte äußere Form einer anhaltenden, tiefen Bewegung.
    Tashunka-witko bat seinen Gast, sich zu setzen, und ließ sich mit ihm zusammen auf dem kahlen Boden nieder. Die Mutter kam herein und beschäftigte sich wieder damit, die Yucca-Wurzeln zu schaben.
    Die beiden Häuptlinge begannen zu rauchen. Mit sparsamen Worten, mit vielen Atempausen und von Husten unterbrochen berichtete Tokei-ihto, was alles seit seiner Freilassung geschehen war, bis er endlich das Zelt seines Oberhäuptlings betreten hatte. »Die Langmesser haben mir befohlen, und ich habe unterschrieben, auf die Reservation zu gehen«, schloß er. »Aber auch dort wollen sie mich nicht dulden. Dieser Sekretär Charly und die Verräter unter unseren eigenen Kriegern spielen sich den Ball zu. Sie wünschen gar nichts, als mich wieder gefangenzunehmen und mich nie mehr lebend freizugeben.«
    »Was hast du vor?«
    »Was rätst du mir?«
    Tashunka-witko kämpfte mit den Worten, so wie er in Gedanken und in seinem Herzen täglich noch mit dem Geschehen rang. »Wir sollen hier leben – wie die Kojoten – ohne Waffen – verachtet, bettelnd. Sie sagen, ich solle zu dem großen Vater in Washington gehen. Über mir aber ist nur das Allmächtige Geheimnis; ich kenne keinen weißen Vater über mir, und ich will meine Brüder nicht verlassen. Die Watschitschun lauern wie die blutgierigen Luchse, wann sie mich ermorden und meine Krieger zerstreuen und irgendwo einpferchen können. In den Zelten umher haben sie Verräter zwischen uns angesiedelt. Ich darf dir kein Obdach geben, Tokei-ihto – mein Bruder.«
    »Bleibst du selbst hier?«
    Tashunka-witko antwortete der schnellen und beinahe heftigen Frage mit Zögern, aber auch mit Festigkeit. »Ich bleibe. Ein Häuptling verläßt seine Krieger nicht. Ich kann meine Männer auch nicht wieder fortführen. Wir waren unser zweitausend und in Waffen. Wenn wir jetzt ohne Waffen noch einmal aufstehen – das wäre noch vergeblicher als …«
    Der Häuptling brach ab und lauschte. Auch Tokei-ihto horchte. Im Zeltlager war Unruhe entstanden. Die Häuptlinge hörten Stimmen, die unverkennbar Stimmen von Dragonern waren. Schritte eilten herbei, leichte und dahinter schwere.
    Die Häuptlinge blieben sitzen und rauchten. Die Frau tat ihre Arbeit weiter.
    An der Zeltöffnung erschien ein Indianer in der bunten Kleidung des Halbzivilisierten. Hinter ihm standen drei Dragoner; sie hatten Pistolen gezogen.
    »Wer bist du, und was suchst du hier?« fragte der Indianer den fremden Gast in der Sprache der Dakota.
    »Scout und Beauftragter von Douglas Finley & Co.«, antwortete der junge Häuptling englisch, zu den Dragonern gewandt. Er war nicht aufgestanden.
    »Hast du Papiere?«
    »Für dich nicht, du räudige Kojotenhaut ohne Herz und Nieren, aber für den Capt’n.« Tokei-ihto erhob sich und ging langsam, in ruhig wirkender Haltung zum Zelteingang. Die Dragoner steckten die Pistolen wieder ein. Der junge Häuptling benutzte diesen Augenblick und warf den Halbzivilisierten mit einem raschen Schwung in den Schnee. Das war der einzige Ausbruch seines Grimms, den er sich gestattete, und schon lächelte er die Dragoner wieder freundlich-hintergründig an. »Wo ist der Capt’n?« Dabei holte er die Firmenkarte mit den Stempeln hervor und spielte so damit, daß die Uniformierten sahen, daß ein mehrfach gestempeltes Papier vorhanden war.
    »Schon gut!« sagte der eine. »Was machst du bei Crazy Horse da drin?«
    »Ein paar Sachen einhandeln für Finley junior

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