Über den Missouri
Der Wind pfiff, und der entlassene Gefangene hatte nur den Sommerrock an. Was ihn wärmte, war das Fieber. Auch der rauheste Militärarzt würde dem Dakota gesagt haben, daß ein solcher Ritt als sein Todesritt enden müsse. Aber der Indianer wußte in diesem Augenblick nichts von Tod. Er fühlte den Boden der Prärie, den die Hufe des Mustangs schlugen; vor ihm lag die dunstige Ferne, die seine Augen kannten, seit er sie das erstemal geöffnet hatte, und in seinen Gedanken wohnte ein Name: Tashunka-witko.
Der Falbe jagte dahin. Sein Körper federte und schwang. Er hatte alles, was er als weiße Männer, als Koppel und Stall witterte, hassen gelernt, und es brach in ihm wieder etwas von der Wildheit des »outlaw«, des außerhalb der Gesetze Stehenden, hervor, von der sein Reiter ihn einst mit Kraft und leisen Liedern geheilt hatte.
Der einsame Reiter wußte, daß er nur mit der Schnelligkeit dieses Tieres, mit dem er sich eins fühlte,
sein weit gestecktes Ziel vor allen Verfolgern erreichen konnte. Er legte eine lange ebene Strecke vor den Ausläufern der Black Hills zurück und gelangte zwischen die Höhenzüge in die Wellentäler der unfruchtbaren und öden Prärie, mit der die Reservation im Nordwesten begann. Die Wintersonne schien über gelbgraue Flächen. Hartes Gras, Yucca und Kakteen hatten sich hier angesiedelt. Wasser war schwer zu finden, und der Dakota erlaubte seinem Mustang zu saufen, als er eine Wasserstelle fand. Er selbst lief auf den nächsten Hügelkamm hinauf, spähte und horchte. Es konnte sein, daß das Grenzgebiet der Reservation von Kavallerie kontrolliert wurde.
Aber die Einöde blieb still. Nichts regte sich.
Es ging dem Abend zu. Der Wind wurde eisig. Tokei- ihto setzte den Ritt fort. Die Anhöhen wurden steiler. Sandig, dürr, von verwitterten, kahlen Felsen durchzogen war das Land. Im Westen war die Sonne gesunken; am Horizont zeichneten sich noch die waldigen Höhenzüge der Black Hills ab.
Am späten Abend machte der Dakota wieder halt. Er ließ den Falben am Fuß eines Felsen stehen. Das Tier knabberte an den Grasbüscheln, deren Wurzeln sich in Sand und hart gefrorenem Lehm festklammerten. Ohitika setzte sich zu dem Mustang; die Zunge hing aus dem Maul.
Der Heimkehrende erstieg den Felsen und spähte.
In der Ferne erkannte er den Überrest des versickerten Tümpels; die letzte Feuchtigkeit war zu einer dünnen Eisdecke gefroren. Dort standen die Zelte, am östlichen Ende befand sich eine Pferdeherde. Der Lauschende vernahm durch die vollständige Stille der Landschaft das Heulen der hungrigen Hunde bei dem Dorf. Er sah einzelne Menschen, Frauen und Kinder, ohne sie genauer erkennen zu können. Sie schienen hin und her zu gehen. am Abend noch einmal Ausschau zu halten.
Das mußte das Dorf der Bärenbande sein. Zwischen dem Felsen, von dem Tokei-ihto spähte, und den Zelten lief noch eine flache Bodenwelle. Der Dakota wollte sie als näheren Aussichtspunkt benutzen. Er ließ seine Tiere, den Hengst und den Hund, zurück und schlich sich weiter. Auf dem Kamm der Bodenwelle blieb er liegen und faßte jetzt das Dorf genauer ins Auge. Er erkannte jedes einzelne Zelt wieder, aber er sah auch, daß das seine fehlte.
Er beobachtete vier Kinder. Es waren zwei Jungen und zwei Mädchen. Sie waren mit einem Haufen von Konservendosen beschäftigt, und der Nordwind trug den Geruch verdorbenen Fleisches mit sich. Die Kinder bauten drei Pyramiden aus den Dosen, und zwar so, daß jeder, der aus der Gegend der Agentur kam. die Dosen sehen und riechen mußte. Es war ein Willkommen für alle Beauftragten des Agenten und des Red Fox.
Die Hunde bissen sich um die Reste eines Rinderkadavers. Nirgends erklang ein Lied, und keine Flöte sang, keine Trommel rührte sich. Totenstill war es in diesem Dorf des Hungers und der Unterwerfung.
Nicht weit von den Kindern befand sich ein einzelner hinkender Mann.
Tokei-ihto hatte diesen Mann erkannt. Sein Haar war kraus; dadurch unterschied er sich von allen anderen Dakota. Auch die Kinder erkannte der Heimkehrende; die beiden Anführer des Bundes der »Jungen Hunde«, Hapedah und Tschaske, und die Freundinnen Blitzwolke und Eidechse. Aber er wartete noch. Als sich lange niemand anders bei den Zelten zeigte, schrie er wie eine Krähe. Tschapa Kraushaar schaute auf und suchte nach dem Vogel, auch die Kinder hatten den Kopf gehoben. Sie mochten sich wundern, keine Krähe zu sehen, aber sie schienen auch nicht erfaßt zu haben, daß der Schrei nur eine
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