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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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auszunehmen und zu zerteilen. Hapedah und Tschaske bekamen gleich einen Happen. Dann gingen sie ins Zelt. Sie spürten ihre körperliche Erschöpfung und warfen sich auf die Lagerstätten, die bereitstanden.
    Da nur acht Tipi aufgeschlagen waren, bezogen die Familien Tokei-ihtos und Tschetansapas gemeinsam das große Häuptlingszelt, in dem auch Tobias Unterkunft finden konnte. Tschapa und Blitzwolke fanden sich auch des öfteren hier ein; im eigenen Zelt bei den zahlreichen verwitweten oder unverheirateten Frauen und der von einem Geist besessenen Großmutter »Gefleckte Kuh« war es den beiden zu unruhig.
    Tschaske und Hapedah schlummerten nebeneinander in Felldecken. Trotz der großen Müdigkeit war ihr Schlaf nur ein Halbschlaf. Die Eindrücke des Erlebten wurden immer wieder in ihnen wach.
    »Noch mehr Bären … und Hirsche werden wir jagen!« flüsterte Hapedah.
    Auch Blitzwolke, die mit Uinonah unter einer Decke lag, schlief noch nicht fest. »Hier standen unsere Zelte, als du noch ein Kind warst?«
    »Ein Kind war ich und Tokei-ihto ein Knabe. Drunten am Fluß …«
    »Morgen fangen wir wieder Fische«, plante Tschaske, der das letzte Wort gehört hatte.
    Die Kinder verstummten, denn Tokei-ihto und Tobias kamen jetzt als letzte in das Zelt herein. Tokei-ihto legte sich mit seinem schwarzen Hund nicht weit vom Zeltausgang schlafen. Die bereitgestellte Kopf- und Rückenstütze verschmähte der Häuptling; er wickelte sich in eine alte abgebrauchte Büffelhautdecke, deren lange Geschichte nur ihm selbst bekannt war.
    Der Schlummer hatte endlich alle überwältigt, als draußen ein dumpfes Trommeln aufklang.
    Der junge Häuptling war sofort hellwach und lauschte. Auch Tschapa, Tschetansapa und Tobias horchten auf.
    Tschetansapa erhob sich mit Mühe von seinem Lager und kam zu Tokei-ihto herbei. »Was trommelt der Alte in seinem Zauberzelt«, sagte er leise, sorgenvoll, unwillig. »Das kann uns verraten!«
    »Die Große Bärin schützt uns.«
    Tokei-ihto war bitter.
    Tschetansapa legte seinem Häuptling die Hand auf die Schulter. »Sie ist auch dein Totem! Wir sind alle Brüder. Beginne nicht, unsere Geheimnisse zu verspotten! Vielleicht haben wir beide als Knaben schon zuviel gezweifelt.«
    Tokei-ihto antwortete nicht, er lauschte wieder. Das Trommeln verstärkte sich und wirkte wie eine dumpfe Drohung.
    Da erhob sich der Häuptling.
    Mit stummer Erregung beobachteten ihn alle, die im Zelt anwesend waren. Der Häuptling legte seine Kleider und seinen Adlerfederschmuck an und verließ das Tipi.
    Draußen hörte er das Rauschen der Wipfel im Nachtwind, das Plätschern des nahen Flusses. Hunde knurrten im Traum. Von weit her erklang Wolfsgeheul. Fledermäuse flatterten, im Wald schrie eine Eule. Zweige knackten; es war, als ob Luchse jagten. Die Wachen bei den Pferden waren sehr aufmerksam. Hoch oben im Baum saß wieder ein Späher. Das Mondlicht leuchtete fahl über den Zelten.
    Tokei-ihto ging auf das Zauberzelt zu, aus dem die Trommelschläge herausklangen.
    Als er eintrat, konnte er alles nur undeutlich sehen, denn auch hier war kein Feuer angefacht. Der Häuptling erkannte aber, daß der Zauberer allein war. Hawandschita trommelte mit Lederklöppeln auf einer Ledertrommel, dumpf, rhythmisch, befehlend. Er schien ganz in sich versunken. Seine Hände leuchteten geheimnisvoll, mit einem grünlichen Schimmer, ebenso der Hörnerschmuck, den er trug, und ein Bärenschädel in der Mitte des Zeltes.
    Der Zauberer schien die Gegenwart Tokei-ihtos noch nicht wahrzunehmen oder nicht wahrnehmen zu wollen. Er trommelte weiter und begann ein Selbstgespräch mit seinen Geistern, wie es bis zu dieser Nacht noch nie ein Mensch hatte mit anhören dürfen.
    »Geheimnisse, beginnt zu sprechen!
    Große Sonne, du leuchtest im Mond,
    Große Bärin, unsere Mutter, sprich!
    Ich bin dein Sohn,
    alt bin ich geworden,
    du verbirgst dich vor mir.
    Komm und sprich,
    und zürne deinen Söhnen nicht länger …
    Meine Augen sind dunkel geworden,
    meine Hände schwach,
    aber ich wahre eure Geheimnisse noch immer -
    Kommt wieder zu mir zurück,
    wie wir zurückgekommen sind
    in eure Wälder und Berge!
    Die Toten stehen auf,
    ich höre das Brüllen der Büffel.
    Die Büffel und die Toten
    kehren zu uns zurück …«
    Die Trommelschläge, zu deren Rhythmus der Zauberer gesprochen hatte, verlangsamten sich. Hawandschita hob den Blick. Seine Augen blickten im grünen Schimmer der Hörner und der Hände.
    Stumm rangen die beiden Männer

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