Über den Missouri
wieder über die feuchten rauhen Felsen.
Sie kam. Es war kein Zweifel mehr möglich.
Die Knaben standen regungslos.
Während die Knaben im Berg tapfer aushielten, um den Häuptling zu retten, setzte sich draußen der Abend über das Zeltdorf.
Im Hintergrund des Häuptlingstipis saß Tokei-ihto zusammen mit seinen Jugendfreunden Tschapa und Tschetansapa. Er hatte ihnen endlich gesagt, was in dieser siebenten Nacht, die jetzt bevorstand, geschehen sollte. Er war entschlossen, ohne Waffen in den Berg zu gehen. Sein Wort, das er dem Zauberer gegeben hatte, galt unverbrüchlich.
Der Häuptling legte die drei Adlerfedern ab, die in seinem Haar befestigt waren. Auch die Kette aus Bärenkrallen nahm er ab, und die alten schweren Narben auf seiner Brust wurden ganz sichtbar. Er war nur noch mit dem Gürtel bekleidet. Zu seiner Linken hatte er sich eine Fackel zurechtgelegt. Aufrecht saß er da und schaute an seinen Freunden vorbei.
Den beiden Freunden war es unmöglich, auch nur ein Wort hervorzuwürgen.
Aber Tokei-ihto selbst begann zu sprechen: »Ich habe euch in neue Gefahren und in neuen Zwist gebracht.«
Tschetansapa und Tschapa, die an Tokei-ihto keine Müdigkeit und keinen Verzicht gewohnt waren, rangen mit ihrem eigenen Gefühl.
»Du bist ein Krieger, Tokei-ihto«, sagte Tschetansapa, »laß den Mut nicht fahren!«
»… den Mut zu sterben, nie. Leben kann schwerer sein.«
»Tokei-ihto! Warum hast du mir nicht gleich und nicht ganz vertraut?«
»Weil du mir nicht gleich und nicht ganz vertrautest. Die Sonne sinkt. Laß uns schweigen, bis es dunkel ist. Dann werde ich gehen.«
Die Freunde sagten kein Wort mehr. Sie wußten, was Tokei-ihto seit seinem elften Jahr, seit der Verbannung seines Vaters, gelitten und wie er gekämpft hatte. Einmal schien die Last auch für ihn zu schwer zu werden, und das in einem Augenblick, in dem ein großes Unternehmen im Gang war und die Seinen ihn am dringendsten brauchten.
Tschapa und Tschetansapa wußten sich keinen Rat. Der Schmerz um den Häuptling und Freund schüttelte sie, aber obgleich sie Krieger waren, waren sie hilfloser als ein Kind. Mit den Geheimnissen der Höhle im Berg hatte einst das Unglück begonnen, hier schien es sich zu vollenden.
Tokei-ihto erhob sich, ergriff die Fackel und verließ das Zelt. Das ganze Dorf war auf den Beinen, denn die Nachricht vom Opfergang des Häuptlings war nun in alle Zelte gedrungen. Es bildete sich ein Spalier aus den schweigenden Menschen. Uinonah sah sich unruhig um. Untschida fehlte. Im Hintergrund stand der Zaubermann. Tobias betrachtete ihn starr und feindselig.
Langsam, mit gleichmäßigen Schritten, ohne jemanden anzusehen, ging der Häuptling durch die Reihen der Seinen hindurch. In der Linken hielt er die gesenkte Fackel. Tschapa und Tschetansapa schlugen die Augen nieder, als es auch ihnen nicht mehr gelang, einen Blick mit Tokei-ihto zu wechseln.
Der junge Häuptling hatte Zelte und Menschen schon hinter sich gelassen. Als er sich nicht mehr beobachtet wußte, wurde sein Ausdruck noch finsterer, sein Gang noch beschwerter. Er nahm seinen Weg zu der Höhle, so wie ihn auch die Knaben gegangen waren. Als er zu der Stelle kam, an der Hapedah und Tschaske beieinander gesessen und beraten hatten, stockte er.
Hinter einem Baum war Untschida hervorgetreten.
Tokei-ihto versuchte die Begegnung zu vermeiden. Aber Untschida trat ihm geradezu in den Weg.
Da blieb er aus Achtung vor der Mutter stehen.
»Tokei-ihto, mein Sohn.«
Der Häuptling antwortete nicht, aber er wartete ohne Ungeduld, wie es die Sitte verlangte.
»Tokei-ihto – siehst du die Fährten der Knaben?«
In Tokei-ihtos Schweigen drückte sich aus, daß er diese Frage nicht erwartet hatte.
»Ja«, sagte er endlich.
»Hapedah und Tschaske sind vor dir in den Berg gegangen, um sich zu opfern. Sie wollen sterben, damit du lebst!«
Tokei-ihto hob den Kopf. Stumm dankte er der Mutter.
Dann ließ er seine Kräfte spielen und sprang den Hang aufwärts.
In der Höhle standen die beiden Knaben noch am gleichen Platz. Der schlurfende Schritt, den sie gehört hatten, stockte wieder, und ein leises drohendes, dumpfes Gebrumm ging durch die Finsternis. Es war ein tiefes Brummen, tiefer noch und mächtiger, als die Knaben das Brummen des gefährlichen Graubären aus der Nachahmung der Männer kannten. Die Augen der Brüder waren weit aufgerissen; sie versuchten die Dunkelheit zu durchdringen. Aber nichts war zu sehen. Nur ein Geräusch nahmen die Jungen noch
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