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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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faßten sich gegenseitig am Handgelenk, damit sie einen festen Halt aneinander hatten. Vorsichtig tasteten und schlichen sie vorwärts. Der Höhlenboden senkte sich langsam. Sie kamen immer tiefer in den Berg hinein. Als sie sich einmal umsahen, hatten sie schon keinen Rückblick zum Ausgang mehr. Es war nichts mehr als Finsternis um sie. Das klingende Rauschen war stärker geworden. Es wurde lauter und lauter, so daß sie schließlich ihr eigenes Wort kaum mehr verstehen konnten. Um so fester hielten sie sich aneinander.
    Endlich schien es ihnen, daß sie die Quelle des Tones tief unten erreicht hatten. Das Getöse wurde übermächtig.
    »Wasser!« schrie Tschaske laut, damit Hapedah ihn hören konnte.
    Die Knaben waren stehengeblieben. Sie bückten sich, und ihre Hände faßten in fließendes Wasser. Es schien mit kräftigem Strahl rechts aus dem Berg in die Höhle hereinzuschießen, die Höhle zu kreuzen und links wieder in bodenlose Tiefen des Berges hinabzustürzen. Die Brüder setzten sich an das Felsenufer des unterirdischen Baches. Wie auf Verabredung tauchten sie die Arme ein, um die Tiefe des Gewässers zu prüfen. Auf eine halbe Armlänge faßten die Hände schon felsigen Grund. – Also das war geklärt. Einfach Wasser. Das Getöse kam von links, wo der unterirdische Wasserfall in irgendeiner unbekannten Tiefe aufprallte.
    Was sollten sie nun tun? Zurückgehen zum Höhleneingang? Oder hier sitzen bleiben! Oder weitergehen?
    »Weitergehen!« schrie Hapedah Tschaske ins Ohr.
    Die Knaben faßten sich wieder an den Handgelenken und wagten sich mit vorsichtigen Tritten durch das stark strömende Wasser. Am anderen Ufer stieg der Höhlenboden aufwärts, und die beiden Wagemutigen kletterten hinauf. Sie mußten sich jetzt loslassen, denn sie brauchten beide Hände. Der finstere Gang schien kein Ende nehmen zu wollen. Wo führte er hin? Wie lange kamen sie noch darin weiter?
    Die Steigung wurde sanfter und das Vorwärtskommen leichter. Das Wasserrauschen tönte nicht mehr so überlaut, da die Jungen sich davon entfernten. Tschaske stolperte und fiel, und Hapedah griff schnell zu. Das war zwar nicht nötig, der Bruder konnte sich selbst wieder auf die Beine helfen. Aber als die Knaben sich bei dem kleinen Unfall gegenseitig beim Namen riefen, stellten sie fest, daß ihre Stimmen jetzt wieder leicht, fast überdeutlich zu verstehen waren. Die Höhle war offenbar breiter und höher geworden.
    Selbst ihre Schritte waren jetzt vernehmlich, sobald sie nur etwas tasteten und schlurften, und das Rauschen des Wassers klang wieder wie ferne Musik. Sie waren schon sehr tief in den Berg eingedrungen. Wie tief? Das wußten sie selbst nicht mehr. Im Vorwärtstasten bemerkten sie, daß sie in einen riesigen Höhlenraum gerieten. Sie gingen und tasteten rundum und fanden drei Höhlengänge, die in den Raum mündeten. Als sie die Runde abgelaufen hatten, gelangten sie wieder zurück zu dem ersten Eingang, den sie an einigen Merkmalen der Felsbildung wiedererkannten.
    »Wir bleiben«, bestimmte Hapedah leise. »Hier an der Mündung unseres Ganges in die große Höhle bleiben wir.
    Hier muß sie durchkommen, wenn sie hinausgelangen will.«
    »Ja.«
    Die Knaben setzten sich nieder.
    In der Ruhe und Dunkelheit wurde es ihnen von neuem unheimlich. Das Klettern und Forschen war leichter gewesen als das Stillsitzen und Warten.
    »Wenn sie gar nicht kommt?« fragte Tschaske.
    Hapedah blieb die Antwort schuldig.
    Die beiden warteten und warteten. Beinahe schien es Hapedah, daß Tschaske recht haben könnte. Wenn sie gar nicht käme? Es mußte schon sehr spät in der Nacht sein, und einmal wurde es ja Tag. Aber das konnte man hier drinnen im Berg nicht wahrnehmen.
    Hapedah gewöhnte sich allmählich an den Gedanken, daß von dem Erwarteten nichts geschehen würde. Er gewöhnte sich so sehr daran, daß er bei einem fremden Ton aufschrak, als ob Feindeshand ihn angefaßt habe. Oder hatte er sich doch getäuscht? Er lauschte und spürte dabei Tschaskes Hand, die sich ihm auf die Schulter legte.
    »Sie kommt.«
    Die Buben standen auf und stellten sich vor die Mündung des Ganges, der hinausführte. Hier durfte sie nicht durch.
    Hapedah fühlte, daß auch Tschaskes Hand kalt war.
    Jenseits des großen Höhlenraumes, in einem der durch den Berg führenden Gänge, schlurfte es leise, und die Knaben kannten diesen schlurfenden Tritt großer nackter Bärentatzen. Langsam, langsam schlurfte es heran. Einmal war es still. Dann schlich und strich es

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