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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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verriet, daß er seinen zurückkehrenden Herrn gefunden hatte.
    Die Knaben blieben vor dem Zelteingang stehen und warteten. Hapedah hatte Tschaskes Handgelenk gefaßt und krallte seine Finger fest darum. Er hatte bis jetzt eine unbestimmte Angst gehabt, daß der Häuptling überhaupt nicht lebend zurückkehren würde.
    Tokei-ihto trat zwischen den Bäumen des von Sternen- und Schneeschimmer erleuchteten Waldes hervor und kam zum Zelt heran. Die Knaben sahen an ihm hinauf. Der Häuptling war naß, als ob er im Wasser gewesen sei. Er trug den hellen Bogen aus Knochen und den gestickten Köcher mit den Pfeilen bei sich – sonst nichts. Keine Beute. Trotz der matten Beleuchtung erkannten sie einen merkwürdigen, hintergründigen und finsteren Ausdruck in seinen Zügen. Mit gesenktem Kopf blieben die Brüder vor dem Zelt stehen, in dem Tokei-ihto verschwand, ohne die beiden Jungen zu beachten. Ohitika hatte sich vor dem Eingang niedergelassen.
    Hapedah setzte sich in Bewegung, und Tschaske, den er noch immer an der Hand gefaßt hielt, kam mit. Die Knaben kehrten nicht ins väterliche Zelt zurück. Sie suchten sich einen Platz tief im nächtlichen Wald und hockten sich bei der verholzten Wurzel eines abgestorbenen Baumes in den Schnee. Dreizehn Winter zuvor hatte an diesem Platz der Knabe Harka, der jetzt Tokei-ihto und ein Häuptling war, in einer unheimlichen Nacht gesessen.
    Die beiden Buben sagten lange gar nichts.
    »In dieser Nacht soll die Bärin kommen«, war das erste, was Hapedah schließlich hervorbrachte.
    »Nach Mitternacht«, bestätigte Tschaske tonlos.
    »Nach Mitternacht«, wiederholte Hapedah. Er grübelte dabei, wie er erklären sollte, was er fühlte und plante.
    »Du«, fing Tschaske auf einmal von selbst wieder an, und Hapedah war froh darüber, »du hast gehört, was der feindliche Geist im Biberzelt gesagt hat. Das, was er gesagt hat, darf niemals geschehen. Tokei-ihto darf nicht sterben.«
    »Nein, es darf niemals geschehen«, bestätigte Hapedah fest. »Niemand außer uns und dem kleinen Mädchen weiß es«, fuhr Tschaske fort.
    »Tokei-ihto selbst aber mag davon gehört haben, als er nachts zu dem trommelnden Zaubermann ging!«
    »Wir müssen uns entscheiden. Wir müssen etwas tun«, forderte Tschaske von sich selbst und von seinem Wahlbruder.
    »Hau. Wir müssen etwas tun. Du mußt sagen, was wir tun sollen.«
    »Weißt du es nicht, Hapedah?«
    »Ich weiß es. Aber ich will hören, ob du es weißt, Tschaske.«
    »Ich weiß es«, erklärte Tschaske.
    »Ja«, sagte Hapedah. »Es ist ganz klar. Die Bärin wird hervorkommen. Der Geist hat auch am Pferdebach die Wahrheit gesagt, darum glaube ich ihm jetzt wieder. Aber sie darf Tokei-ihto nicht töten. Tokei-ihto muß uns über das Schlammwasser führen.«
    »Hau. Ein anderer muß für ihn sterben.«
    »Das denke auch ich.« Hapedah sprach langsam. »Wakantanka, das Große Geheimnis, hat es schon oft angenommen, wenn ein Krieger sein Leben für einen anderen freiwillig geopfert hat, und wenn wir auch nur kleine Jungen sind und er ist ein Häuptling!«
    »Vielleicht«, meinte Tschaske wieder zweifelnd, »vielleicht aber müßten wir es Hawandschita sagen, dem Zaubermann …«
    Hapedah erschrak sichtlich. Sein Herz klopfte. »Nein«, antwortete er trotzdem mit fester Stimme. »Auch Hawandschita soll nichts davon erfahren. Er war unserem Häuptling oft nicht gut gesinnt, das weißt du, Tschaske.«
    »Ja, das ist wahr. Wir wollen allein handeln.«
    Die Knaben standen auf und hielten die Hand vor den Mund, um zu dem großen heiligen Geheimnis zu sprechen. Dann liefen sie in dem nächtlichen Wald bergaufwärts. Sie blickten sich nicht mehr um. Sonst hätten sie Untschida gesehen, die an einem Baum lehnte und ihnen in stummem Schmerz nachschaute.
    Es ging dem Neumond zu. Die Eulen huschten; in den Zweigen knackte es vor Frost. Je höher die Buben stiegen, desto steiler wurde der Hang, und am Fuß des Berges rauschte das Wasser, als wollte es sie zurückrufen zu den schützenden Zelten. Aber sein Klang wurde ferner und schwächer. Die kleinen Füße traten den knirschenden Schnee, und manchmal zerbrach ein Zweig unter ihrem Tritt. Die Sträucher und Baumäste schlugen den Knaben ins Gesicht; ihre Haut sprang auf. Sie gingen hintereinander; abwechselnd führte der geschickte Hapedah oder der kräftige Tschaske. Es war kein Spaß im wilden Bergwald, auch nicht für zwei Dakotaknaben.
    Sie liefen, daß ihnen in der kalten Nacht der Schweiß ausbrach, und das

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