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Über den Wassern

Über den Wassern

Titel: Über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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der Three Moons rief rüber und sagte, der alte Sweyner, der Glasbläser, sei im Gesicht von einem schnellfliegenden Hexenfisch verletzt worden, und nun sei sein Genick so versteift, daß er den Kopf nicht mehr geradehalten könne. Lawler erklärte Yanez, was er dagegen tun solle. Von der Hydra Cross, dem Schiff der Schwesternschaft, kam eine ungewöhnliche Anfrage: Schwester Boda klagte über stechende Schmerzen in der linken Brust. Es würde wenig Zweck gehabt haben, hinüberzufahren und sie zu untersuchen. Er wußte, daß die Schwestern so etwas nicht erlauben würden. Er schlug als Medikation Schmerzmittel vor und ersuchte, sie möchten ihn nach der nächsten Menstruation der Schwester wieder anrufen. Das war das letzte, was er von der schmerzenden Brust der Schwester Boda hörte.
    Auf der Black Sea Star stürzte eine Frau aus der Takelung und renkte sich dabei den Arm aus. Lawler führte Poilin Stayvol über Funk Schritt für Schritt durch den Prozeß der Einrenkung. Jemand auf der Golden Sun erbrach schwarze Galle. Es stellte sich heraus, daß der Mann herumexperimentiert und ‚Kaviar’ gegessen hatte, den Rogen von Pfeilkopffischen. Lawler riet zu einer behutsameren Diät. Auf der Sorve Goddess klagte jemand über immer wiederkehrende Alpträume. Lawler riet zu einem Tröpfchen Schnaps vor dem Zubettgehen. Ansonsten war es für ihn die übliche Routine.
    Father Quillan (vielleicht war er neidisch?) bemerkte, es müsse doch wundervoll befriedigend für Lawler sein, dermaßen gebraucht zu werden, von so wesentlicher Bedeutung für das Leben einer ganzen Gemeinschaft zu sein, fähig zu sein, die Leidenden zu heilen, jedenfalls doch meistens, wenn sie sich mit ihren Schmerzen an ihn wandten.
    »Befriedigend? Ja, vielleicht. Aber darüber hab ich nie viel nachgedacht. Es ist einfach meine Arbeit.« Und genau dies war es. Dennoch verstand Lawler, daß etwas Wahres in den Worten des Priesters steckte. Der Einfluß, den er auf Sorve ausgeübt hatte, war nahezu göttergleich gewesen, nun ja, also wenigstens dem eines Priesters gleich. Aber was bedeutete es letzen Endes, über fünfundzwanzig Jahre hin der Inseldoktor gewesen zu sein? Daß er früher oder später das Genitalgehänge jedes menschlichen männlichen Sorveaners in der Hand gehabt hatte? Die Hand in der Scheide jeder Frau? Daß nahezu alle unter fünfundzwanzig von ihm ans Tageslicht gezogen worden waren, blutend und strampelnd, und daß er ihnen der ersten Klaps versetzt hatte? Das alles hatte ganz selbstverständlich zu einer ganz natürlichen Bindung geführt: Es verlieh dem Arzt ein gewisses Anspruchsrecht auf die Menschen - und umgekehrt. Kein Wunder, dachte Lawler, daß die Leute überall den Ärzten eine derartige Verehrung erweisen. Für sie ist der Arzt der Heilende, der Heiland, der Wissenskundige, der Wunderwirker. Der sie beschützt, der ihnen Erleichterung verschafft und die Schmerzen dämpft. Und so ist das schon seit den Tagen der Höhlenmenschen, dachte Lawler, damals dort auf der armen beschissenen, dem Untergang geweihten ERDE. Er selbst war nur ein später Spätling in einer langen, sehr langen Reihe. Und - anders als der unselige Father Quillan und andere seinesgleichen, deren undankbare Aufgabe es war, die unsichtbaren Segnungen eines unsichtbaren Gottes zu verbreiten -war er tatsächlich in einer Position, in der er sichtbare und greifbare Wohltaten spenden konnte. Manchmal. Und darum, ja doch, er war dank seiner Berufung innerhalb der Gemeinschaft eine mächtige und einflußreiche Gestalt, der Mann, in dessen Händen Leben oder Tod liegen konnten, hochgeachtet, unvermeidlich und - vermutete er - wohl auch ein wenig gefürchtet. Und ja, das war wohl irgendwie befriedigend. Schön, also, er genoß es. Aber er sah nicht, was das für einen großen Unterschied machte.
    SIE WAREN JETZT im Grünen Meer, und hier machte es der dichte Bestand der Kolonien einer bezaubernden Wasserpflanze fast unmöglich, daß die Schiffe vorankamen. Das Gewächs sah aus wie eine Sukkulente mit dicklichen, glatten löffelförmigen Blättern an einem braunem Zentralstamm und einem zentralen Sporophorenstengel, auf dem grelle gelbpurpurne Geschlechtskörper saßen. Luftgefüllte Blasen sorgten für die Schwimmfähigkeit der Pflanzen. Unterhalb der Wasserfläche wanden sich graue Federwurzeln wie Greifarme ineinander und waren zu dunklen Matten verflochten. Dort waren die Pflanzen dermaßen dicht verknüpft, daß sie praktisch einen Teppich über die ganze

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