Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Über den Wassern

Über den Wassern

Titel: Über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
Stabilität, weiterführender Vereinigung der Seelen gewesen wäre, eine Frau, die allem Anschein nach alles, was sich in ihrem Leben ereignete, hinnahm und annahm, wie es kam, und die sich nie darüber Sorgen machte, wie sie es mit dem Vergangenen verbinden sollte, noch mit einer potentiellen Zukunft. Und dann fiel Lawler ein, daß er sehr wohl jemanden kannte, der genauso war.
    Der Lawler aus den verschwundenen Tagen auf der Insel Sorve, vor langer Zeit, der seine Geliebten nahm und fallenließ und zu anderen wechselte, ohne über die Lust und Freude des Augenblicks hinauszudenken. Aber jetzt war er doch ein anderer geworden. Jedenfalls hoffte er es.
    IN DER NACHT hörte Lawler gedämpftes Geschrei und Poltern aus der Nebenkabine. Delagard und Lis stritten sich. Es war nicht das erste Mal, doch klang es diesmal lauter und erregter als sonst.
    Als Lawler dann verfrüht am Morgen in die Kombüse zum Frühstück kam, hockte Lis mit abgewandtem Gesicht an ihrem Herd. Von der Seite sah ihr Gesicht geschwollen aus, und als sie sich ihm zuwandte, sah er eine gelbliche Schwellung auf dem Wangenknochen und eine zweite um das Auge. Eine Lippe war aufgeplatzt und dick geschwollen.
    »Soll ich dir was dafür geben?« fragte er.
    »Ich werd’s überleben.«
    »Ich hab heut nacht Geräusche gehört...«
    »Ich bin aus meiner Koje gefallen, weiter nichts.«
    »Und bist zehn Minuten lang durch die Kabine getaumelt und hast gebrüllt und geflucht? Und als Nid dich aufhob, fand er es ebenfalls nötig, zu brüllen und zu fluchen? Gib’s auf, Lis.«
    Sie starrte ihn kalt und mürrisch an. Es sah aus, als werde sie gleich losweinen. Nie zuvor hatte er diese stabile, diese spottlustige Frau so knapp vor einem Zusammenbruch gesehen.
    Ruhig sagte er: »Das Frühstück kann ein bißchen warten. Ich könnte die Platzwunde säubern und dir was geben, um die Schmerzen aus den Prellungen zu vertreiben.«
    »Ach, ich bin das schon gewohnt, Doc.«
    »Schlägt er dich denn oft?«
    »Oft genug.«
    »Lis, heutzutage schlägt kein Mann mehr eine Frau!«
    »Das sag mal dem Nid.«
    »Möchtest du das? Ich tu’s.«
    Panik flammte in ihren Augen auf. »Nein! Um Himmels willen, kein Wort zu ihm, Doc! Er würde mich totschlagen.«
    »Du fürchtest dich wirklich vor ihm, Lis?«
    »Du nicht?«
    Lawler war verblüfft. »Nein. Wieso sollte ich?«
    »Na, vielleicht hast du wirklich keine Angst. Aber du bist eben du. Ich denke, ich bin noch ganz gut davongekommen. Ich hab was gemacht, was ihm nicht recht ist, und das hat er rausgekriegt, und er hat es viel, viel übler aufgenommen, als ich mir das je gedacht hätte. Aber ich hab was draus gelernt. Nid ist ein heftiger Mensch. Gestern nacht - ich hab wirklich geglaubt, er bringt mich um.«
    »Nächstesmal ruf mich. Oder schlag gegen die Kabinenwand.«
    »Es wird kein nächstesmal geben. Von jetzt an werd ich brav sein. Ich mein es ernst.«
    »Dermaßen fürchtest du dich vor ihm?«
    »Ich liebe ihn, Doc. Kannst du das glauben? Ich liebe diesen Mistkerl. Und wenn er nicht will, daß ich mit anderen herumvögele, dann tu ich es eben nicht. Er ist mir zu wichtig.«
    »Obwohl er dich prügelt?«
    »Daran erkenne ich, wie wichtig ich für ihn bin.«
    »Aber das kannst du doch nicht im Ernst sagen, Lis.«
    »Aber ich tu es. Wirklich.«
    Er schüttelte den Kopf. »Himmel! Der Kerl schlägt dich grün und blau, und du sagst mir, das tut er, weil er dich so heiß liebt?«
    »Von sowas verstehst du nichts, Doc«, sagte Lis. »Das hast du noch nie begriffen. Nie begreifen können.«
    Lawler starrte sie verblüfft an. Er versuchte zu begreifen. In diesem Augenblick war ihm diese Menschenfrau so fremd wie ein Gillie.
    »Ja, wahrscheinlich stimmt das«, sagte er.
    NACH DEM STURMWIND blieb die See weiterhin eine Zeitlang ruhig. Nie völlig glatt, aber auch nicht bedrohlich. Sie gerieten in einen neuen Gürtel mit dichter Meeresflora, allerdings diesmal weniger dicht, und sie gelangten hindurch, ohne Dr. Nikitins tödliches geschlechtsstimulierendes Öl einsetzen zu müssen. Ein wenig später stießen sie erneut auf Driften rätselhafter dichtgepackter gelbgrüner Algen. Die quollen über die See herauf, als das Schiff vorbeifuhr, und stießen aus dunklen schwappenden Blasen, die von kurzen stacheligen Stengeln hingen, trübselig pfeifende Fürze aus: Kehrt-umm, schienen sie zu stöhnen, kehrtummm, kehrtummm. Bestürzende, beunruhigende Laute. Ohne Zweifel, hier war ein unheilvoller Ort. Doch es dauerte nicht lang, da lagen

Weitere Kostenlose Bücher