Über den Wassern
wohl leichter, als Martello erwartet hatte. Denn er verlor erstens die Balance und zweitens den Schaber aus dem Griff. Er grapschte danach, verfehlte ihn, rollte nach vorn und hechtete mit einem großen Klatschen ins Wasser.
Lawler paddelte weiter und beugte sich hinaus, um ihm eine Hand hinzustrecken. Martello war inzwischen bereits etliche Meter vom Gleiter entfernt und schlug wild mit Armen und Beinen. Aber entweder sah er die helfende Hand nicht, oder seine Panik war dermaßen übermächtig und er begriff nicht, was er tun sollte.
»Schwimm auf mich zu!« rief Lawler. »Hierher! Leo, hierher!«
Aber Martello schlug nur weiter wild mit Armen und Beinen um sich. Sein Blick war glasig vor Schock. Dann wurde er plötzlich steif, als hätte ihn von unten her ein Dolch getroffen. Und dann begann er krampfhaft zu zucken.
Die Davits waren inzwischen wieder übers Wasser ausgeschwenkt. An ihnen baumelte Kinverson. »Runter!« befahl er. »Noch ein bißchen! So, das reicht! Nach links. Gut... Gut so!«
Er faßte den strampelnden Martello unter den Achseln und holte ihn heraus, als wäre der ein kleines Kind. »Und jetzt du, Doc!« sagte Kinverson.
»Du kannst uns doch nicht beide rausheben!«
»Los, mach schon! Hier!«
Kinversons anderer Arm klammerte sich um Lawlers Brust. Die Davits hoben sich, schwangen zurück an Deck. Taumelnd schwankte Lawler umher, als Kinverson ihn aus seiner Umarmung freigab, stürzte und landete schmerzhaft auf den Knien. Sundira war sofort bei ihm und half ihm hoch.
Martello lag als triefendes Fleischbündel schlaff und bewegungslos auf dem Rücken.
»Zurück!« befahl Lawler. Und winkte auch Kinverson beiseite. »Du auch, Gabe.«
»Man müßte ihn umdrehen und das Seewasser aus ihm rauspumpen, Doc.«
»Das Wasser macht mir keine Sorgen. Mach Platz, Gabe!« Lawler wandte sich an Sundira. »Du weißt doch, wo meine Instrumententasche ist? Das Skalpell und so? Hol es mir bitte rasch rauf an Deck, ja?«
Dann kniete er bei Martello nieder und machte seinen Oberkörper frei. Der junge Mann atmete, schien aber nicht bei Bewußtsein. Die Augen standen weit offen, waren aber ohne Ausdruck, blicklos. Immer wieder zogen sich seine Lippen zu einer scheußlichen Grimasse des Schmerzes zurück, und der ganze Körper wurde starr und zuckte, als schieße ein elektrischer Strom durch ihn hindurch. Dann wurde er wieder ganz schlaff.
Lawler legte die Hand auf Martellos Bauch und drückte fest. Er spürte eine Bewegung unter der Bauchdecke: ein Zucken, ein seltsames, unerwartetes Zittern unter dem straffen Muskelgewebe des Abdomens.
Ist da was Fremdes drin? Ja. Dieser verfluchte Ozean, dieses Ungeheuer schlich sich überall ein, wo man ihm nur die geringste Blöße bot. Aber vielleicht war es ja noch nicht zu spät, den Jungen zu retten, dachte Lawler. Ihn purgieren durch und durch, die Wunde verschließen, das war es, und so dafür sorgen, daß die Gemeinschaft nicht noch einen weiteren Verlust erleiden mußte.
Schatten beugten sich über ihn nieder. Alle drängten heran und glotzten. Sie sahen zugleich abgestoßen und fasziniert aus.
Lawler sagte scharf: »Verschwindet hier, ihr alle. So was wollt ihr bestimmt nicht mitansehen. Und ich will nicht, daß ihr mir dabei zuschaut!«
Keiner rührte sich.
»Ihr habt gehört, was der Doktor gesagt hat«, schnauzte Delagard. »Also weg da! Laßt ihn seine Arbeit tun.«
Sundira stellte seine Instrumententasche neben ihn.
Lawler betastete den Unterleib von Martello erneut. Ja. Da war eine Bewegung. Ein unverkennbares Zurückweichen. Ein Zucken, Zittern. Martellos Gesicht war hochrot, die Pupillen erweitert, und die Augen starrten in eine fremde Welt. Aus allen Poren lief fiebriger Schweiß.
Lawler holte sein feinstes Skalpell aus der Tasche und legte es aufs Deck. Dann legte er Martello beide Hände dicht unterhalb des Zwerchfells auf den Bauch und begann nach oben zu pressen. Martello stieß einen dumpfen Seufzer aus, und über seine Lippen sickerten dünn Seewasser und Erbrochenes. Nichts sonst. Lawler versuchte es erneut. Nichts. Aber unter seinen Fingern fühlte er wieder diese Bewegung, weitere Krampfbewegungen, erneutes gleitendes Ausweichen.
Und noch ein Versuch. Er drehte Martello auf den Bauch und rammte die beiden verschränkten Hände mit aller verfügbaren Kraft dem Jungen in die Mitte des Rückens. Martello rülpste und spuckte noch einmal eine dünne Flüssigkeit aus. Mehr kam nicht.
Lawler hockte sich hin und dachte einen Moment lang
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