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Über den Wassern

Über den Wassern

Titel: Über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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nach, so gut es eben ging.
    Dann wälzte er Martello wieder auf den Rücken und nahm sein Skalpell.
    »Das wird euch nicht gefallen, wenn ihr da jetzt zuschaut«, murmelte er vor sich hin, an alle gerichtet, die vielleicht immer noch zuschauten. Er blickte dabei nicht auf. Dann schnitt er mit der dünnen Klinge eine rote Linie von links nach rechts quer über Martellos Unterleib. Martello schien es kaum zu spüren. Er gab einen weichen unverständlichen Laut von sich.
    Die Haut, das Muskelgewebe. Das Messer schien die Schnitte zu kennen. Geschickt legte Lawler die Gewebschichten frei. Dann durchschnitt er das Peritoneum. Er hatte sich dazu erzogen, sich in einen anderen Bewußtseinszustand zu versetzen, wenn er operierte, in dem er sich einbildete, er sei ein Bildhauer und der Patient etwas Unbeseeltes, etwa ein Holzblock, und nicht ein leidendes menschliches Wesen. Durch diesen Trick allein vermochte er die Prozedur überhaupt durchzustehen.
    Tiefer. Jetzt hatte er die innere Bauchdecke durchschnitten. Blut mischte sich in die Pfütze aus Seewasser um Martello auf den Decksplanken.
    Nun mußte das Gekröse der Eingeweide hervorquellen und sichtbar werden...
    Ja. Da waren sie.
    Jemand schrie. Jemand knurrte angeekelt.
    Doch es war nicht wegen des Anblicks der Gedärme. Aus Martellos Bauch schob sich noch etwas anderes herauf, etwas Helles, Schlankes, das sich langsam entrollte und sich aufrichtete: Es waren etwa sechs Zentimeter sichtbar: augenlos, anscheinend auch ohne Kopf, nichts weiter als ein glatter, glitschiger rosa Streifen undifferenzierter lebender Materie. Am oberen Ende befand sich eine Öffnung, irgendwie mundähnlich, durch die eine kleine rote raspelscharfe Zunge sichtbar wurde. Das schlanke schimmernde Geschöpf bewegte sich mit unirdischer Grazie und schwang in gleitenden hypnotisierenden Bewegungen von einer Seite zur anderen. Das Kreischen in Lawlers Rücken setzte sich hemmungslos fort.
    Er fuhr auf das Ding mit einer raschen sicheren Bewegung aus dem Handgelenk los, und sein Skalpell zerschnitt es säuberlich in zwei Hälften. Der obere Teil landete zuckend neben Martello und begann sich sofort auf Lawler zuzubewegen. Kinversons schwerer Stiefel krachte nieder und zermalmte das Ding zu Schleim.
    »Danke«, sagte Lawler ruhig.
    Aber die andere Hälfte steckte noch in Martello. Lawler versuchte, sie mit der Spitze des Skalpells hervorzulocken. Daß es zerteilt worden war, schien dem Ding nichts auszumachen: es tanzte weiter, genauso graziös wie zuvor. Lawler stocherte hinter der schweren Wölbung der Eingeweide herum, um das Ding loszubekommen. Er drückte hier und zerrte dort. Dann glaubte er, das andere Ende entdeckt zu haben und schnitt zu, aber da war noch immer etwas übrig und etliche Zentimeter mehr entzogen sich ihm gemeinerweise immer wieder. Er schnitt erneut, und diesmal hatte er es zur Gänze erwischt. Er schleuderte es fort, und Kinverson zertrat es.
    Inzwischen waren alle hinter Lawler verstummt.
    Er begann damit, den Einschnitt wieder zu schließen, doch eine neuerliche zuckende Bewegung ließ ihn innehalten. Noch einer? Ja. Ja, mindestens noch einer. Vielleicht mehr. Martello stöhnte und bewegte sich geringfügig. Dann bäumte er sich plötzlich heftig und schnellte sogar ein Stück vom Deck in die Höhe. Lawler hatte das Skalpell gerade noch rechtzeitig weggerissen, damit er Martello nicht verletzte. Und dann hob sich ein zweiter Aalwurm ans Licht und ein dritter, und sie tanzten den gleichen unheimlichen Tanz wie der erste; dann zog sich der eine in sich selber zurück, verschwand wieder in Martellos Bauchhöhle und schien sich aufwärts in Richtung auf die Lungen durchzuwinden.
    Lawler lockte den anderen heraus, halbierte ihn und dann noch einmal und riß das Endstück heraus. Er wartete darauf, daß der andere, der sich zurückgezogen hatte, sich wieder zeige. Dann, kurz darauf, erblickte er ihn flüchtig, gelb und schimmernd in Martellos blutiger Leibesmitte. Aber es war nicht der einzige Aalwurm. Lawler sah jetzt auch die schlanken Schlingen anderer, die geschäftig herumschlängelten und ein Fest feierten. Wie viele waren denn da noch? Zwei, drei? Dreißig?
    Lawler hob den Kopf. Sein Gesichtsausdruck war grimmig-ernst. Delagard starrte ihn seinerseits an. In seinen Augen stand ein Ausdruck von Schock, Bekümmerung und Ekel.
    »Kannst du die alle rausholen?«
    »Nicht die geringste Chance. Er steckt voll davon. Sie fressen sich durch ihn hindurch. Ich könnte schneiden und

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