Über den Wassern
Götter, egal, welchen Namen wir ihnen geben wollen - die sind dann jeweils die post-gödelianischen Lokal-Genien, hab ich das so richtig begriffen? Götter für uns. Götter für die Gillies ebenfalls, denn das ‚Antlitz’ scheint ja so was wie ein Heiliger Ort für sie zu sein. Aber nicht für GOTT-PERSÖNLICH, den ALLMÄCHTIGEN, deinen Gott, den deine Kirche verehrt, den Ur-Schöpfer der Gillies und Menschen und alles sonstigen im Universum. Den wirst du hier aber nicht finden, jedenfalls nicht sehr oft. Dieser Gott steht auf der Realitätsskala ein bißchen weiter oben. Und er lebt bestimmt nicht auf irgendeinem bestimmten Planeten. Der ist irgendwo weiter droben in viel Höheren Bezirken, in einem größeren Universum. Aber vielleicht schaut er gelegentlich mal runter, um zu überprüfen, wie sich die Sache hier so anläßt.«
»Genau.«
»Und sogar der ist nicht ganz oben an der Spitze?«
»Es gibt keine Spitze«, beschied ihm Father Quillan. »Es gibt nur eine immer höher aufsteigende, sich entfernende Leiter, eine Stufung von Göttlichkeit, und sie reicht vom Wenig-mehr-als-ein-Sterblicher ins äußerst Unfaßbare. Ich weiß nicht, welchen Rang die Bewohner des ‚Antlitzes’ auf dieser Stufenleiter einnehmen, aber höchstwahrscheinlich stehen sie ein wenig höher als wir. Und - GOTT - der - ALLMÄCHTIGE ist diese ganze Leiter. Denn Gott ist unendlich, also kann es kein festbestimmtes einzelnes Niveau des Göttlichen geben, sondern nur eine ewiglich sich fortsetzende Reihe... es gibt keinen Höchsten Gott, sondern nur Höhere und Höhere und Noch Höhere - ad infinitum. Und dieses ‚Antlitz’ da, das hat wohl nur einen mittleren Platz auf dieser Skala.«
»Ich verstehe«, sagte Lawler zweifelnd.
»Und durch die Meditation über derartige Dinge kann man sich dem Verständnis der höheren Unendlichkeiten annähern, auch wenn wir natürlich definitionsgemäß niemals die Allerhöchste von ihnen werden erfassen können, denn um dies zu tun, müßte man ja größer als die größte der Unendlichkeiten sein.« Quillan blickte zum Himmel auf und breitete die Arme auf beinahe selbstparodistische Weise aus. Dann wandte er sich wieder Lawler zu und sprach mit völlig veränderter Stimme weiter. »Endlich, mein lieber Doktor, habe ich erkannt, warum ich als Priester versagt habe. Es muß mir irgendwie die ganze Zeit hindurch bewußt gewesen sein, daß der Gott, nach dem ich suchte, die Eine Höchste Wesenheit, die uns behütet und bewacht, aufs äußerste unerreichbar ist. Was unser kleines Leben angeht, so gibt es IHN gar nicht. Oder wenn es IHN gibt, dann in einer Gegend, die von unserem Leben dermaßen weit entfernt ist, daß es IHN auch gleich ganz und gar nicht zu geben brauchte. Jetzt, endlich, begreife ich, daß ich mich auf die Suche nach einem kleineren, weniger erhabenen und enthobenen Gott machen muß, einem Gott, der unserem Bewußtseinsniveau näher ist. Lawler, begreifst du, zum erstenmal in diesem meinem Leben sehe ich eine Möglichkeit für mich, ein wenig Ruhe zu finden!«
»Was quasselt ihr zwei denn da für ‘n Scheiß?« sagte Delagard, der unbemerkt hinter ihnen aufgetaucht war.
»Theologischen Scheiß«, sagte Father Quillan.
»Aha - aha! Wohl wieder ‘ne neue Offenbarung?«
»Setz dich«, sagte der Priester. »Dann erkläre ich dir alles.«
IM FEUER DER BEGEISTERUNG über die Logik seiner neuesten Offenbarung strich Quillan auf dem Schiff umher und erbot sich, sie jedem zuteil werden zu lassen, der ihm zuhören wollte. Doch er stieß meist auf taube Ohren.
Einzig Gharkid zeigte gesteigertes Interesse. Lawler hatte stets vermutet, daß das seltsame Männchen einen tiefen Hang zum Mystizismus in sich trug; und jetzt konnte man Gharkid in höchster Konzentration dasitzen und mit leuchtenden Augen in sich hineintrinken sehen, was der Priester absonderte. Aber wie gewohnt, bot Gharkid auch jetzt keine eigenen Kommentare, sondern stellte nur ab und zu leise eine Frage.
Sundira verbrachte eine Stunde unter Quillans Suada, und als Lawler sie dann traf, wirkte sie nachdenklich und verwirrt. »Der arme Mann«, sagte sie. »Ein Paradies... und heilige Gespenster, die durchs Unterholz ziehen und den Pilgern ihre Segnungen anbieten... Diese vielen Wochen auf See müssen ihn um den Verstand gebracht haben.«
»Falls er je so was besessen haben sollte.«
»Er sehnt sich so stark danach, sich an etwas ausliefern zu können, das größer und weiser ist als er. Er hetzt schon sein ganzes
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