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Über den Wassern

Über den Wassern

Titel: Über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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stand er auf. An Schlaf war wahrscheinlich jetzt nicht mehr zu denken. Er stieg an Deck. Am Himmel hingen ein paar Monde, die durch die aus der See aufsteigende Lumineszenz eine ungewohnte blauviolette und grüne Tönung hatten, einer Lumineszenz, die vom westlichen Horizont heraufquoll und nun die ganze Zeit in der Luft zu hängen schien. Das ‚Hydros-Kreuz’ selbst, schief wie ein weggeworfenes Stück Filigranschmuck an einem Himmelswinkel hängend, pulste von Farbe, was Lawler noch nie vorher erlebt hatte: Von den zwei großen Armen strömten starke verwirrende türkis- und bernsteinfarben, scharlachrote und ultramarinfarbene Schlieren.
    Niemand schien Deckdienst zu machen. Die Segel standen, das Schiff zog gefügig in der leichten steten Brise dahin, aber an Deck schien niemand zu sein. Das versetzte Lawler für einen Moment einen scharfen Stich der Angst. Eigentlich hätte die Erste Wache Dienst tun müssen: Pilya, Kinverson, Gharkid, Felk, Tharp. Wo steckten die denn? Sogar am Ruder stand keiner. Steuerte das Schiff sich etwa selber?
    Anscheinend ja. Und ab vom Kurs noch dazu. In der letzten Nacht, erinnerte er sich, war das KREUZ steuerbords vom Bug gestanden. Jetzt stand es querschiff. Sie zogen nicht länger nach West-Südwest, sondern waren in scharfem Winkel vom Kurs abgewichen.
    Benommen schlich er sich übers Deck. Als er zum Heckmast kam, sah er dort Pilya auf einer Taurolle schlafen, und gleich daneben schnarchte Tharp. Wenn Delagard das wüßte, er würde sie auspeitschen. Und nicht weit davon saß Kinverson mit dem Rücken gegen die Reling. Seine Augen standen offen, aber auch er schien zu schlafen.
    »Gabe?« sagte Lawler leise. Er kniete nieder und fuhr mit den Fingern vor Kinversons Gesicht hin und her. Keine Reaktion. »Gabe, was ist denn los? Bist du hypnotisiert?«
    »Er erholt sich«, kam überraschend von hinten die Stimme von Onyos Felk. »Stör ihn nicht. Es war eine harte Nacht. Wir haben stundenlang in der Takelung geschuftet. Aber schau mal jetzt: Da - da direkt vor uns liegt das LAND. Und wir machen gute Fahrt darauf zu.«
    Land? Wann hatte je einer auf Hydros von Land gesprochen?
    »Was quasselst du da?« fragte Lawler.
    »Dort. Siehst du es nicht?«
    Felk zeigte unbestimmt in Richtung Bug. Lalwer schaute hin und sah - nichts, nur die Weite der leuchtenden See und einen klaren Horizont, der sich einzig durch ein paar tiefstehende Sterne und eine sich in mittlerer Höhe ausbreitende dichte Wolke auszeichnete. Und der schwarze Vorhang hinter dem Firmament schien unheimlich in einer wilden brennenden Aurora zu lodern. Überall Farben, ungewohnte Farben, eine Phantasia niegesehenen Lichts. Aber kein Land.
    »Während der Nacht«, sagte Felk, »hat sich der Wind gedreht und uns da drauf zugetrieben. Was für ein unglaublicher Anblick das ist! Diese Berge! Diese grandiosen Täler! Hättest du es je für möglich gehalten, Doc? Das Feste über den Wassern!« Felk klang, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. »Mein ganzes Leben lang hab ich auf meine nautischen Karten gestarrt und diesen dunklen Flecken auf der anderen Halbkugel gesehen - und jetzt - jetzt schauen wir ihn direkt - von Angesicht zu Angesicht, Doc! Das ‚Antlitz’ selbst!«
    Lawler preßte die Arme eng an die Flanken. In der tropisch-heißen Nacht überlief ihn plötzlich ein Frostschauder. Er sah noch immer ganz und gar nichts, nur die unendlich sich breitende rollende See.
    »Hör mal, Onyos, falls Delagard verfrüht an Deck kommt und eure ganze Wache da schlafend vorfindet, dann weißt du doch, was passiert. Um Himmels willen, wenn du sie schon nicht wecken willst, dann tu ich es!«
    »Laß sie schlafen. Bis zum Morgen haben wir das ‚Antlitz’ erreicht.«
    »Welches Antlitz? Wo?«
    »Na dort, Mann! Dort!«
    Lawler sah noch immer nichts. Er eilte nach vorn. Am Bug entdeckte er Gharkid, den letzten dieser Wache, der ihm noch gefehlt hatte, mit überkreuzten Beinen wie eine Statue oben auf dem Vordeck thronen. Den Kopf hatte er in den Nacken geworfen, und die Augen standen weit offen und waren starr wie zwei Murmeln. Genau wie Kinverson befand er sich ganz und gar in einem entrückten Zustand.
    Verwirrt spähte Lawler in die Nacht hinaus. Das bestürzende labyrinthische Farbenspiel tanzte weiter vor ihm, aber sonst sah er immer noch nur leere See und einen leeren Himmel voraus. Dann veränderte sich auf einmal etwas. Als wäre sein Sehvermögen getrübt gewesen und als könnte er auf einmal endlich wieder klar

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