Über den Wassern
grandiosen Unterwasserstadt führt, die von Gillies bewohnt wird, eine verborgene Stadt von Gillies, die über die inselbewohnenden Gillies ebenso hoch erhaben waren, wie es Könige über Bauern sind... Gillies, die lebten wie die Götter, die niemals an die Oberfläche stiegen, die abgeschottet in druckstabilen Gewölben in erhabener Majestät und unübertrefflichem Luxus lebten...
Lawler mußte lächeln. So war das also, ja. Eine großartige Fabel, ein Märchen von Pracht und Reichtum. Das raffinierteste, schillerndste von allen Seemannsgarnen, die Jolly gesponnen hatte. Er erinnerte sich nun, wie er damals sich vorzustellen versucht hatte, wie diese Stadt aussah, wie er sich ausmalte, daß hochgewachsene, unendlich majestätische Gillies würdevoll durch hohe Torbögen in schimmernde Palasthallen schritten. Und jetzt, in der Erinnerung, kam er sich wieder vor wie der Junge von damals, der zu den Füßen des alten Seemanns kauerte und mit großen Augen die Wunder zu verstehen suchte, von denen die rauhe grobe Stimme ihm erzählte.
AUCH FATHER QUILLAN hatte lange über das Problem dieses ‚Antlitzes’ nachgedacht.
»Ich habe eine neue Theorie darüber«, verkündete er.
Der Priester hatte den ganzen Vormittag damit zugebracht, in der Nähe von Gharkids Kranbrücke zu hocken und gemeinsam mit ihm zu meditieren. Lawler, der an ihnen vorbeiwanderte, hatte sie verblüfft angestarrt. Beide schienen in Trance versunken zu sein. Ihre Seelen konnten durchaus auf einer völlig anderen Bewußtseinsebene weilen.
»Ich habe meine Ansicht geändert«, erklärte Quillan. »Du erinnerst dich vielleicht, daß ich dir früher gesagt habe, ich sei überzeugt, daß dieses Land über den Wassern das Paradies sein muß, daß GOTT in EIGner PERson dort umherwandle, die Prima Causa, der SCHÖPFER. ER, zu dem alle unsere Gebete sich richten. Nun, das glaube ich jetzt nicht mehr.«
»Schön und gut«, sagte Lawler gleichgültig. »Dann ist eben das ‚Antlitz’ nicht Gottes persönlicher Vaargh. Wenn du das meinst. Du verstehst von dem Zeug mehr als ich.«
»Nicht GOTTES Vaargh, nein. Aber eindeutig die Behausung irgendeines Gottes. Das ist das exakte Gegenteil meiner ursprünglichen Ansicht über die Insel, wie du siehst. Und von allem, was ich jemals über die Natur des Göttlichen geglaubt habe. Ich stehe im Begriff, in abgrundtiefe Häresie zu verfallen. In diesen meinen späten Lebensjahren werde ich zum Polytheisten. Zu einem Heiden! Das kommt sogar mir selbst absurd vor. Und dennoch glaube ich aus ganzem Herzen daran.«
»Ich versteh dich nicht. Ein Gott, der Gott - was macht das schon für einen Unterschied? Wenn du an einen Gott glauben kannst, dann kannst du ebenso leicht an eine x-beliebige Zahl von ‚Göttern’ glauben, soweit ich die Sache kapiere. Der Trick dabei ist, daß man erst mal an einen glaubt, und ich kann mich nicht mal soweit bringen.«
Der Priester strahlte ihn mit einem liebevollen Lächeln an. »Du verstehst es wirklich nicht, nicht wahr? Die klassische christliche Tradition, die aus dem jüdischen und, soweit wir wissen, aus uralten ägyptischen Glaubenskonzepten entsprungen ist, lehrt, daß Gott eine einzige unteilbare Einheit ist. Daran habe ich nie gezweifelt. Ich habe noch nicht einmal je daran gedacht, daran zu zweifeln. Wir Christen sprechen zwar von IHM als einer Trinität, einer Dreifaltigkeit, doch wir glauben, daß dies eine Drei-Einigkeit ist. Für einen Ungläubigen mag das verwirrend klingen, aber wir wissen, was es bedeutet. Es gibt da keinerlei Disput: Es gibt nur einen Gott... Aber während der letzten paar Tage - nein, sogar in den letzten paar Stunden...« Der Priester verstummte. Dann sprach er weiter: »Laß mich eine Analogie aus der Mathematik zuhilfe nehmen. Weißt du, was das ‚Gödelsche Theorem’ ist?«
»Nein.«
»Also, ich auch nicht, nicht so genau jedenfalls. Aber ich kann es dir ungefähr erklären. Ich glaube, es ist ein Lehrsatz aus dem zwanzigsten Jahrhundert. Gödel stellt die Behauptung auf - und es ist bisher niemandem gelungen, sie zu widerlegen - daß dem rationalen Bereich der Mathematik fundamentale Grenzen gesetzt sind. Wir können sämtliche Annahmen im mathematischen Denken beweisen - bis zu einem bestimmten fundamentalen Punkt, und dort stoßen wir an eine Grenze, wo wir einfach nicht mehr weitergehen können. Letztlich stellen wir fest, daß wir über das Verfahren des mathematisch Beweisbaren in einen Bereich unbeweisbarer Axiome hinabgestiegen
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