Über den Wassern
tue. Nein, Doc, ich hab die Schnauze voll. Ich wechsle über.« Delagards Augen leuchteten in einer frischen, ihm gerade zugeströmten Energie. »Vielleicht bin ich ja überhaupt nur dafür den ganzen Weg bis hierher gegangen, und hab es bis zu diesem Moment nicht begriffen. Vielleicht hat das ‚Antlitz’ uns damals Jolly geschickt, um auch uns versprengten Rest heim in seinen Bereich zu holen - aber dann vergingen vierzig Jahre, und dann kamen nur einige wenige von uns.« Inzwischen wirkte Delagard beinahe fröhlich und kess unbekümmert. »Ciao. Doc! Ciao, Sundira! Es war nett mit euch. Kommt mich doch mal besuchen.«
Sie schauten ihm nach.
»So, also jetzt gibt’s nur noch dich und mich, Kleines«, sagte Lawler zu Sundira. Und dann lachten sie. Was sonst hätten sie auch tun können, als zu lachen?
DIE NACHT KAM. Eine Nacht der Kometen und Wunder, voll vielfarbiger funkelnder Lichter. Nach Einbruch der Dunkelheit waren Sundira und Lawler an Deck geblieben, hatten still am Hauptmast gesessen und nur hin und wieder ein Wort gewechselt. Lawler fühlte sich wie betäubt, wie ausgebrannt von den Ereignissen des Tages. Und Sundira schien ebenfalls erschöpft und blieb stumm.
Droben fanden gewaltige Farbexplosionen im Himmel statt. Zur Feier der neuen Konvertiten, dachte Lawler. Die Aurae seiner einstigen Schiffsgefährten schienen am Himmel zu leuchten und zu funkeln. Der große stürmisch-blaue Schwall da drüben, war das Delagard? Und dieses warme Bernsteinglühen? - Quillan? Und konnte diese scharlachrote Säule da Kinverson sein? Und dieser Spritzer geschmolzenen Goldes überm Horizont - Pilya Braun? Und Felk - und Tharp - Neyana - Lis - Gharkid...
Der emotionale Eindruck war, als wären sie allesamt ganz dicht in seiner Nähe, jeder einzelne von ihnen.
Das Firmament kochte und brodelte von pulsierenden Farben. Aber wenn Lawler sich mühte, ihre Stimmen auszumachen, konnte er sie nicht hören. Da war nur ein warmes harmonisches undifferenziertes Tönen.
Am Ende der kleinen Bucht setzte sich über dem dunkler werdenden Horizont das wildwuchernde Wachstum der Vegetation auf der Insel ungehemmt fort: Es sproßte und zuckte und bebte vor dem dunkleren Himmel und sprühte Funkenregen leuchtender Energie empor. In Wellen strömte das Licht in den Himmel. Unablässig, ohne Pause ging das so weiter dort drüben. Lawler und Sundira saßen da bis tief in die Nacht und betrachteten sich das Schauspiel. Irgendwann stand Lawler auf und sagte: »Hast du denn keinen Hunger?«
»Überhaupt keinen.«
»Ich auch nicht. Aber - laß uns dann wenigstens ein bißchen schlafen.«
»Ja, du hast recht.«
Sie streckte ihm die Hand hin, und er zog sie auf die Füße. Dann standen sie eng beisammen an der Reling und starrten zur Insel hinüber.
»Spürst du irgendwas von diesem Sog?« fragte sie.
»Ja. Er ist immer da - wartet bloß auf seine Chance, nehme ich an. Auf den Moment, wo es uns unvorbereitet und schutzlos erwischen kann.«
»Ja. Ich spür es auch. Es ist nicht mehr so stark wie vorher, aber ich weiß, das ist nur ein Trick, um uns einzulullen. Ich muß meinen Kopf die ganze Zeit zusammenhalten wie eine geballte Faust, um mich dagegen zu wehren.«
»Ich überlege mir schon die ganze Zeit, wieso ausgerechnet wir zwei als einzige diesem Zwang widerstehen konnten, ebenfalls rüberzugehen«, sagte Lawler. »Sind wir stärker und gesünder als die anderen, besser ausgerüstet für ein Leben als Monade in den Grenzen der eigenen Individualität? Oder ganz schlicht dermaßen darauf konditioniert, uns als anders und abgehoben von der uns umgebenden Gesellschaft zu fühlen, daß es uns einfach unmöglich ist, uns selber mal loszulassen und in ein Gruppenfeeling einzutauchen.«
»Bist du dir in deinem Leben auf Sorve wirklich so isoliert vorgekommen, Val, so nicht dazugehörend?«
Er dachte darüber nach. »Vielleicht ist ‚nicht dazugehörend’ ein zu starkes Wort. Ich war durchaus Teil der Sorve-Gemeinde, und sie betrachteten mich als zu ihnen gehörig. Aber ich gehörte eben nicht so dazu, wie die meisten anderen Menschen dort. Ich stand immer ein bißchen abseits.«
»So war das auch bei mir, auf Khamsilaine. Aber ich glaube, ich war noch nie besonders gut, wo es um feste Bindungen an Gruppen oder so geht.«
»Ich ebenfalls nicht.«
»Und im Grunde hab ich so was auch nie gewollt. Manche wollen das und können es dann nicht. Gabe - Gabe Kinverson war mindestens so stark ein Einzelgänger wie wir beide das sind.
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