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Über den Wassern

Über den Wassern

Titel: Über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Mehr noch, wahrscheinlich. Und dann hat er einen Punkt in seinem Leben erreicht, wo er das nicht mehr ertragen wollte. Und da ist er jetzt dort drüben - und lebt - im ‚Antlitz’. Aber ich krieg einfach Gänsehaut bei der Vorstellung, daß ich mein ganzes Selbst aufgeben soll, wenn ich da rübergeh, und daß ich mich einem fremden Bewußtsein ausliefern und eingliedern soll.«
    »Ich hab ihn nie begriffen. Kinverson, meine ich«, sagte Lawler.
    »Ich auch nicht. Ich hab’s versucht. Aber der war die ganze Zeit dermaßen fest in sich verkapselt. Verkrustet. Verkrampft. Sogar wenn wir uns liebten.«
    »Darüber möchte ich lieber nichts hören.«
    »Tut mir leid.«
    »Ja, ist ja schon gut.«
    Sie drückte sich fester an ihn.
    »Und jetzt gibt es bloß noch uns zwei«, sagte sie.
    »Gestrandet am popligen Ende der Welt im Nirgendwo. Und ganz allein in einem aufgegebenen Schiff. Unglaublich romantisch. Solang es dauern kann. Was sollen wir tun, Val?«
    »Wir gehen jetzt runter und veranstalten eine wilde Liebesorgie. Heut nacht können wir nämlich das breite Bett von Delagard besteigen.«
    »Und dann?«
    »Über das dann machen wir uns dann Sorgen. Später!« sagte Lawler.

9
    ER WACHTE kurz vor dem Morgen auf. Sundira schlief weiter - mit einem Gesicht, so glatt und unbekümmert wie das eines Kindes. Er schlich sich aus der Kabine und stieg an Deck. Die Sonne kam über den Horizont, und das verwirrende Farbenspiel, das unentwegt vom ›Antlitz‹ aufstieg, wirkte an diesem Morgen gedämpfter als tags zuvor und viel weniger spektakulär. Er konnte noch immer den lockenden Sog als leises Kitzeln am Rand seines Bewußtseins spüren, aber mehr war es nun auch nicht, eben nur ein sanftes Kitzeln.
    Die Gestalten der früheren Schiffsgefährten wanderten am Strand umher. Er beobachtete sie. Auch über die Entfernung hin vermochte er sie ganz leicht zu identifizieren: Kinverson, den Riesen, den kleinen Tharp, den vierschrötigen Delagard, den säbelbeinigen Felk und Father Quillan, ganz Haut und Knochen. Gharkid, dunkelhäutiger als die übrigen und schwebendleicht wie ein Geist. Und die drei Frauen, die vollbusige Lis und die kräftige breitschultrige Neyana und die hübsche biegsame Pilya. Was taten die dort? Wateten sie den Strand entlang? Nein! Sie wateten in die Bucht heraus, sie kamen hierher, sie kehrten zum Schiff zurück! Alle. Gelassen und mühelos kamen sie durch das seichte Wasser auf die Queen of Hydros zugeschwommen.
    Lawler überlief ein Angstschauder. Es war wie eine Totenprozession, die da übers Wasser auf ihn zukam. Er eilte hinunter und weckte Sundira.
    »Sie kommen zurück«, sagte er brutal.
    »Was? Wer? Oh! Oh!«
    »Alle, die ganze Besatzung kommt aufs Schiff zugeschwommen.«
    Sie nickte, als bereite es ihr weiter keine Mühe zu akzeptieren, daß die früheren leiblichen Hüllen ihrer ehemaligen Schiffskameraden von jener unerläßlichen Wesenheit wiederkehrten, die ihre Seelen verschlungen hatte. Vielleicht ist sie ja noch nicht ganz wach, dachte Lawler. Doch sie erhob sich sogleich und eilte mit ihm an Deck. Überall rings um das Schiff schwammen jetzt ihre Gestalten, dicht unter der Reling, und Lawler rief zu ihnen hinab.
    »Was wollt ihr denn?«
    »Wirf die Strickleiter aus«, erwiderte die Kinverson-Gestalt mit erkennbar Kinversons Stimme. »Wir kommen an Bord.«
    »O Gott«, flüsterte Lawler und warf Sundira einen entsetzten Blick zu.
    »Tu’s!« befahl sie.
    »Aber sobald die mal hier oben sind...«
    »Was spielt das noch für eine Rolle? Wenn das ›Antlitz‹ beschließen wollte, seine ganze Energiestärke auf uns loszulassen, wären wir wahrscheinlich sowieso machtlos dagegen. Wenn sie an Bord kommen wollen, dann laß sie doch. Wir haben sowieso nicht mehr besonders viel zu verlieren, oder?«
    Achselzuckend warf Lawler die Strickleiter aus. Kinverson kam zuerst an Bord gestiegen, dann Delagard, Pilya und Tharp. Die übrigen folgten. Sie waren alle splitternackt, und es fehlte ihnen an Leben und Leibhaftigkeit, sie wirkten wie Schlafwandler, wie Gespenster. Aber sie sind ja Gespenster, sagte Lawler sich.
    »Also?« fragte er schließlich.
    »Wir sind gekommen, um euch das Schiff segeln zu helfen«, sagte Delagard.
    »Das Schiff? Wohin?« fragte er verblüfft.
    »Dorthin, woher ihr gekommen seid. Es ist euch doch klar, daß ihr hier nicht bleiben könnt. Wir bringen euch nach Grayvard, damit ihr dort um Asyl bitten könnt.«
    Delagards Stimme klang sachlich und ruhig, und seine Augen waren

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