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Über den Wassern

Über den Wassern

Titel: Über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Herumtollerei auf der glatten Seite der Ufermauer. Lawler murmelte die passenden Beschwörungsformeln, behandelte mit den am geeignetest erscheinenden Salben und schickte sie allesamt mit den vertrauten Prognosen und Beruhigungen fort. Höchstwahrscheinlich würden sie sich in ein, zwei Tagen schon besser fühlen. Der gewohnte Dr. Lawler war vielleicht keine medizinische Leuchte als Praktiker, doch Dr. Placebo, sein unsichtbarer Assistent, brachte es dennoch meist früher oder später zuwege, die Patienten von ihren Beschwerden zu befreien. Im Augenblick aber wartete kein Patient mehr auf Lawler, und es erschien ihm als ein guter ärztlicher Rat für den Doktor persönlich, etwas frische Luft zu schöpfen. Er trat in die helle Mittagssonne, streckte sich, vollführte mit ausgebreiteten Armen einige Kreiselbewegungen. Dann spähte er hangabwärts zum Hafen. Dort lag die Bucht, friedlich, freundlich, vertraut, das stille eingeschlossene Lagunenwasser sanft gekräuselt. In diesem Moment sah es wundervoll schön aus, eine gläserne, leuchtend-golden schimmernde Fläche, ein glühender Spiegel. Die dunklen Wedel der verschiedenen Meerespflanzen schwangen träge im seichteren Bereich. Weiter draußen durchschnitten hin und wieder blitzende Finnen den Glast. An der Pier der Werft dümpelten ein paar von Delagards Booten in der Dünung. Lawler hatte das Gefühl, als könne dieser Sommermittag ewig weiterdauern, als würden Nacht und Winter nie mehr zurückkehren. Unverhofft durchströmte ein Gefühl des Friedens und Wohlbehagens seine Seele: ein Geschenk, ein Stückchen zufälliges Glück.
    »Lawler«, sagte eine Stimme zu seiner Linken.
    Eine trockene, brüchige, krächzende Stimme, eine Knochenstatt-Stimme, knirschend von Asche und Geröll. Ein elendes, undeutliches, ausgebranntes Wrack von Stimme, das Lawler dennoch irgendwie als die Stimme Nid Delagards erkannte.
    Er war über den Südweg vom Ufer herangekommen und stand nun zwischen Lawlers Vaargh und dem kleinen Bottich, in dem Lawler seine frisch gesammelten Algen für medizinische Zwecke aufbewahrte. Delagard wirkte erhitzt, zerknautscht und verschwitzt, und die Augen waren merkwürdig glasig, als hätte ihn ein Schlaganfall gestreift.
    »Was ist denn jetzt schon wieder passiert, verdammt noch mal?« fragte Lawler sehr ärgerlich.
    Delagard gab ein wortloses Schmatzen von sich, sein Mund schnappte wie der eines Fisches auf dem Trocknen, aber es kam nichts.
    Lawler preßte die Finger in die fleischige Masse von Delagards Arm. »Kannst du nicht reden? Verdammt, nun mach schon! Sag mir, was passiert ist!«
    »Jaah. Jaah.« Delagard bewegte schwerfällig und langsam den Kopf wie einen axial taumelnden Ball. »Es ist ganz furchtbar schlimm. Schlimmer, als ich mir je vorgestellt habe.«
    »Ja, was denn?«
    »Ach, diese verdammten Taucher. Die Gillies sind wegen denen wirklich enorm aufgebracht. Und sie wollen es uns ganz besonders dick zeigen. Enorm dick! Das hab ich dir heute früh sagen wollen, dort drunten im Schuppen, ehe du abgehauen bist.«
    Lawler zwinkerte ein paarmal mit den Lidern. »In Gottes Namen, was quasselst du da eigentlich?«
    »Gib mir mal erst einen Schnaps.«
    »Ja. Aber ja. Komm rein.«
    Er goß für Delagard ein deftiges Quantum von dem dicklichen meerfarbenen Gesöff ein, dann, nach kurzem Zögern, versorgte er sich mit einer etwas kleineren Menge. Delagard schüttete seinen Drink auf einen Zug hinunter und hielt den Becher zum Nachfüllen hin. Und Lawler schenkte ihm ein.
    Nach einer Weile begann Delagard zu sprechen. Er tastete sich durch die Wörter, als sei er von einer plötzlichen Sprechlähmung befallen. »Die... die Kiemlinge sind vorhin zu mir gekommen, mich besuchen, ungefähr zehn, zwölf. Direkt aus dem Wasser sind sie raufgekommen und in die Werft und haben meine Leute aufgefordert, sie sollen mich rausholen, weil sie mit mir reden wollten.«
    Was war das? Gillies? Auf dem von Menschen bewohnten Inselende? So etwas hatte es seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben. Die Gillies kamen nie weiter südwärts als bis zu der Landzunge, auf der sie ihr Kraftwerk gebaut hatten. Niemals.
    Delagard warf Lawler einen gequälten Blick zu.
    »‚Was wollt ihr von mir?’ hab ich sie gefragt. Mit den entsprechenden feinsten Höflichkeitsgesten, Lawler, bestimmt, alles in feinster Manier. Ich glaube, die Gillies, die da gekommen waren, das waren ihre ganz großen Gillie-Bosse, aber woher sollte man das sicher wissen? Man kann sie doch nicht unterscheiden,

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