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Über den Wassern

Über den Wassern

Titel: Über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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solchen Gedanken gekommen, doch nun stellte er mit Bestürzung fest, daß er ihm unangenehm war.
    Er fragte: »Hast du in der letzten Zeit ungewöhnlich starke Belastungen durchgemacht?«
    »Nicht daß ich wüßte. Nein.«
    »Zu schwer gearbeitet? Schlecht geschlafen? Eine Liebesbeziehung, die nicht gut läuft?«
    Sie warf ihm einen merkwürdigen Blick zu. »Nein. In allen drei Punkten.«
    »Nun, manchmal überanstrengen wir uns, ohne es selber zu merken. Dann wird der Streß sozusagen integriert und Teil unserer Routine. Ich sage dir, deine Beschwerden sind weiter nichts als ein nervöser Reizhusten.«
    »Weiter nichts?« fragte sie enttäuscht.
    »Ja willst du denn, daß es Killer-Fungus sein soll? Schön, dann bist du halt vom Killer-Fungus befallen. Und wenn du in das Stadium kommst, wo dir die roten Fäden aus den Ohren sprießen, dann zieh dir einen Sack über den Kopf, damit deine Mitmenschen nicht vor dir erschrecken. Sie könnten ja sonst fürchten, sie seien in Gefahr. Was natürlich erst sehr viel später der Fall sein wird, wenn du anfängst Sporen abzustoßen.«
    Sie lachte. »Ich hab nicht gewußt, daß du so ein Witzbold bist.«
    »Bin ich nicht.« Er nahm ihre Hand. Er überlegte, ob er dabei sei, sie anzumachen, oder aber nur den gütigen Onkel spielte, die Rolle des ‚lieben alten Doc Lawler’. »Jetzt hör mir mal zu«, sagte er. »Ich kann bei dir keinen organischen Schaden entdecken. Darum ist es wahrscheinlich, daß dein Husten nur eine nervöse Angewohnheit ist, die du dir irgendwie zugelegt hast. Sobald du damit anfängst, reizt du die Rachenschleimhaut und so weiter. Der Husten wird automatisch und immer heftiger. Irgendwann vergeht er dann von selber wieder, aber das kann lange dauern. Ich werde dir ein Nervenberuhigungsmittel geben, einen Tranquilizer, der deinen Hustenreflex lang genug stillegt, daß die mechanische Irritation aufhört und du dir nicht andauernd weitere Hustensignale gibst.«
    Auch das kam für ihn überraschend, daß er bereit war, ihr von seinem Taubkraut abzugeben. Noch nie hatte er zu jemandem ein Wort über seine Droge verloren, geschweige denn sie einem Patienten verordnet. Doch irgendwie erschien ihm dies nun als richtig. Und er hatte einen ausreichenden Vorrat und konnte etwas abgeben.
    Er holte aus dem Kabinett einen kleinen trocknen Flaschenkürbis, füllte einige Kubikzentimeter des Elixiers hinein und verschloß ihn mit einem Stopfen aus Seeplastik.
    »Das ist eine Droge, die ich selbst aus Taubkraut destilliere, aus einem der Algenstämme, die in der Lagune wachsen. Du nimmst jeden Morgen davon fünf, sechs Tropfen in einem Glas Wasser. Nicht mehr, es ist sehr stark.« Er betrachtete sie eindringlich forschend. »Die Pflanze steckt voll starker Alkaloide, die dich restlos betrunken machen können. Wenn du bloß an einem Wedel knabberst, bist du eine ganze Woche lang bewußtlos. Oder vielleicht auch für immer. Das hier ist ein stark verdünnter Extrakt, aber geh dennoch behutsam damit um.«
    »Du selbst hast auch ein Tröpfchen davon genommen, als wir hier hereinkamen, stimmt’s?«
    Sie hatte ihn also doch beobachtet. Rasche Augen, eine scharfe Beobachterin. Interessant.
    »Auch ich bin hin und wieder mal nervös«, sagte Lawler.
    »Mache ich dich nervös?«
    »Alle meine Patienten machen mich nervös. Ich verstehe nämlich nicht besonders viel von Medizin, und es wäre mir peinlich, wenn das jemand merkte.« Er zwang sich ein Lachen ab. »Nein, das stimmt gar nicht. Ich verstehe nicht genug von der Medizin, wie ich eigentlich müßte, aber immerhin so viel, daß es reicht. Aber ich hab herausgefunden, daß die Droge mich beruhigt, wenn der Morgen nicht besonders gut läuft, und der heutige hat nicht besonders angenehm für mich angefangen. Es hatte aber nichts mit dir zu tun. Übrigens, du kannst deine erste Dosis auch gleich hier einnehmen.«
    Er maß die Tropfen ab. Sie nippte zögernd und schnitt eine Grimasse, nachdem sie das seltsam süßliche Aroma der Alkaloide wahrnahm.
    »Spürst du, wie es wirkt?« fragte Lawler.
    »Ja, blitzschnell! He, das ist aber guter Stoff!«
    »Vielleicht sogar ein bißchen zu gut. Ein wenig heimtückisch.« Er notierte sich etwas in ihrem Patientenbogen. »Fünf Tropfen in einem Glas Wasser, jeden Morgen. Nicht mehr. Oder du bekommst vor dem nächsten Monatsersten keine Nachfüllung.«
    »Zu Befehl, Doktor.«
    Ihr ganzer Gesichtsausdruck hatte sich verwandelt; sie wirkte nun viel entspannter, die kühlen grauen Augen

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