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Über den Wassern

Über den Wassern

Titel: Über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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dem Gesülze, daß du den Gillies die Flossen küssen und sie um Vergebung anflehen willst. Wir müssen uns ausdenken, wie wir von hier wegkommen und wohin wir gehen sollen. Fang an und plane die Evakuierung, Delagard. Die Sache ist dein Baby. Du hast das alles angerichtet. Jetzt mußt du dich eben darum kümmern, es wieder klarzukriegen.«
    Delagard sagte langsam: »Nur zu deiner Information, ich hab mich bereits haargenau damit beschäftigt. Während du mit den Kiemlingen verhandelt hast, hab ich heut abend schon Botschaft an die drei von meinen Schiffen geschickt, die derzeit im Fährbetrieb laufen, und ihre sofortige Rückkehr befohlen, damit sie uns als Transporter zur Verfügung stehen.«
    »Transporter - wohin?«
    »Da, trink erst noch mal ‘nen Schluck.« Delagard goß ein, ohne auf Lawlers Reaktion zu warten. »Ich werd dir was zeigen.«
    Er öffnete eine Lade und holte eine Seekarte heraus. Eigentlich war es ein laminierter Plastikglobus von zirka sechzig Zentimetern, der von der Hand eines meisterlichen Könners aus Dutzenden verschiedenfarbiger Einzelstreifen zusammengesetzt war. Aus dem Innern drang das Ticken eines Uhrmechanismus. Lawler beugte sich näher. Seekarten waren etwas Seltenes und sehr kostbar. Er hatte nie eine aus unmittelbarer Nähe erblickt.
    »Dismas, Onyos Felks Vater, hat dies vor fünfzig Jahren geschaffen«, sagte Delagard. »Mein Großvater hat es gekauft, als der alte Felk auf den Gedanken kam, er müsse unbedingt ins Seehandelsgeschäft gehen, und Geld brauchte, um Schiffe zu bauen. Erinnerst du dich noch an die Felk-Flotte? Drei Schiffe. Die WOGE hat alle drei mitgenommen. Verdammtes höllisches Pech, du bezahlst deine Schiffe, indem du deine Seekarte verkaufst, und dann gehen dir die Schiffe flöten. Besonders wenn es sich um die beste Navigationskarte handelt, die je angelegt wurde. Onyos hätte sein linkes Ei hergegeben, um das zurückzukriegen, aber wozu sollte ich verkaufen? Ich hab ihn das Ding einsehen lassen, ab und zu mal.«
    Runde purpurrote Medaillons von der Größe eines Daumennagels schoben sich langsam über die Karte auf- und niederwärts, etwa dreißig, vierzig an der Zahl, vielleicht auch mehr, getrieben von dem inneren Mechanismus im Globus. Die meisten folgten einem glatten Kurs, strebten von einem Pol zum anderen, doch hin und wieder glitt eines der Plättchen fast unmerklich in einen anderen Längsstreifen hinüber, so wie eine echte Insel vielleicht tatsächlich etwas weiter westlich oder östlich abdriftet, obwohl sie noch immer von dem Hauptstrom getragen wird, der sie auf den Pol zuführt. Lawler bewunderte die raffinierte Konstruktion dieses Globus.
    »Kennst du dich damit aus?« fragte Delagard. » Das da sind die Inseln. Hier ist das Mare Nostrum, unsere Heimatliche See. Und die Insel da, das ist Sorve.«
    Ein kleines rotes Plättchen, das in Äquatorhöhe langsam vor dem grünen Untergrund des Streifens, auf dem es lag, nordwärts zog: ein bedeutungsloser kleiner Fleck, ein sich bewegender Farbklecks, weiter nichts. Lawler dachte: So winzig - und so teuer.
    »Hier siehst du die ganze Welt, na, also jedenfalls so, wie wir sie uns vorstellen. Das da sind die bewohnten Inseln, das sind die in Dunkelrot - also die von uns Menschen bewohnten. Hier ist das Schwarze Meer, da das Rote Meer, und dort drüben ist das Gelbe Meer.«
    »Und wo ist die Himmelblaue See, das Azurische Meer?« fragte Lawler.
    Delagard sah etwas verdutzt drein. »Ganz da drüben, praktisch bereits auf der anderen Halbkugel. Was weißt du denn über das Azurro, Doc?«
    »Ach, eigentlich gar nichts. Vor kurzem hat jemand es mir gegenüber erwähnt, weiter nichts.«
    »Eine verdammt weite Fahrt von hier aus wäre das, bis ins Azurro. Ich war noch nie da.« Delagard drehte den Globus und zeigte Lawler die andere Hälfte. »Hier hast du das Leere Meer. Und dieser große dunkle Fleck da unten, das ist der Geist über den Wassern. Erinnerst du dich an die tollen Geschichten, die der alte Jolly immer dazu erzählt hat?«
    »Dieser brummige alte Schwindler. Du glaubst doch nicht wirklich, daß er auch nur irgendwo in die Nähe gekommen ist, oder?«
    Delagard kniff ein Auge zu. »Aber seine Geschichten waren doch hinreißend, was?«
    Lawler nickte und ließ seinen Geist kurz in die Vergangenheit zurückschweifen, fast fünfunddreißig Jahre zurück zu dem endlos wiederholten Garn, das der wettergegerbte alte Mann von seiner einsamen Fahrt über das Leere Meer gesponnen hatte, von den

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