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Über den Wassern

Über den Wassern

Titel: Über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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gibt es heutzutage keine Soziopathen mehr. Alle Menschen sind geistig gesund.«
    »Das bezweifle ich allerdings stark!« Lawler vermochte nicht zu glauben, daß der Priester das ernstgemeint haben könne. »Sicher, wir sind Abkömmlinge von verurteilten Straftätern, einige von uns. Und das ist kein Geheimnis. Von Menschen, die jedenfalls irgendwann einmal als Verbrecher galten. Mein eigener Ururgroßvater beispielsweise wurde hierher deportiert, weil er einfach Pech hatte, weiter nichts. Er hat unabsichtlich einen Menschen getötet. Doch nehmen wir mal an, du hast recht, und wir sind hier alle nichts weiter als Abschaum und Menschheitsmüll und die Abkömmlinge von Menschheitsmüll. Damit wäre meine Frage immer noch nicht befriedigend beantwortet: Warum kommst du dann hierher zu uns?«
    Die frostigen blauen Augen des Geistlichen leuchteten. »Ist das denn nicht offensichtlich? Weil ich genau hierher gehöre!«
    »Damit du deinen himmlischen Auftrag bei uns erfüllen und uns zum Heil führen kannst?«
    »Aber keineswegs. Ich bin um meinetwillen gekommen, nicht euretwegen.«
    »Ach? Also bist du aus reinem Masochismus hier eingewandert? Getrieben von einem Zwang zur Selbstbestrafung? Ist es das, Father Quillan?« Der Geistliche schwieg. Aber Lawler wußte, er hatte das Richtige getroffen. »Eine Bestrafung wofür? Für ein Verbrechen? Du hast mir soeben gesagt, es gibt keine Verbrecher mehr.«
    »Meine Verbrechen richteten sich gegen GOTT. Und somit bin ich grundsätzlich einer von eurer Art. Zu einem Auswurf und Verworfenen, wegen meiner mir angeborenen Natur.«
    »Ein Verbrechen gegen Gott...«, sagte Lawler nachdenklich. ‚Gott’, das war für ihn ein ebenso ferner und unklarer Begriff wie ‚Affen’, ‚Dschungel’, ‚Felszinnen’ und ‚Berggeißen’. »Was für ein Verbrechen könnte man denn überhaupt gegen Gott begehen? Wenn er angeblich allmächtig ist, muß er höchstwahrscheinlich auch völlig unverletzlich sein, und wenn er nicht allmächtig ist, wie könnte es dann Gott sein? Aber davon mal abgesehen, es ist erst ein, zwei Wochen her, daß du mir gesagt hast, du wüßtest nicht, ob du an Gott glaubst oder nicht.«
    »Und auch dies ist bereits ein Verbrechen wider IHN.«
    »Ja, aber nur, wenn man an ihn glaubt. Wenn es ihn nämlich nicht gibt, kann es ja kaum eine Sünde oder ein Verbrechen gegen ihn sein, nicht an ihn zu glauben.«
    »Du argumentierst so raffiniert wie ein Theologe«, sagte Quillan anerkennend.
    »Hast du das neulich wirklich ernst gemeint, als du sagtest, daß du dir in deinem Glauben nicht sicher bist?«
    »Ja.«
    »Und du hast doch nicht etwa so neckische Verbalspielchen mit mir getrieben? Nicht so einen raschen Klacks Zynikersenf auf meinen Teller, weil es dich momentan grad überkam, witzig zu sein?«
    »Nein. Ganz gewiß nicht. Ich schwöre es dir.« Quillan streckte die Hand aus und legte sie auf Lawlers Handgelenk; es war eine unerwartet intime und vertrauliche Berührung, die Lawler unter anderen Umständen möglicherweise als unannehmbare Zudringlichkeit hätte empfinden können, die jedoch in diesem Moment beinahe als liebenswert erschien. Mit dunkler, aber klarer Stimme sagte der Priester: »Ich habe mein Leben dem Dienst Gottes geweiht, als ich noch sehr jung war. Das hört sich ziemlich bombastisch an, ich weiß. Aber in der praktischen Wirklichkeit bedeutete es eine Riesenmenge schwerer und unangenehmer Arbeit, nicht bloß lange Gebetsstunden in kalten, zugigen Räumen zu unmöglich frühen oder späten Zeiten, morgens und nachts, sondern auch Arbeiten, die so ekelhaft sind, daß wahrscheinlich nur ein Arzt begreifen kann, was ich meine. Sozusagen die ständige Waschung der dreckigen Füße der Armut. Schön und gut, ich hatte es mir gewählt. Und ich wußte vorher, daß ich mich freiwillig dazu entschließen mußte, und ich erwartete auch keine Orden dafür. Was ich aber nicht wußte, Lawler, was ich mir im Anfang nicht einmal im entferntesten hätte träumen lassen, das war folgendes: Je tiefer ich mich darauf einließ, meinem Gott zu dienen, indem ich der leidenden Menschheit zu dienen versuchte, desto stärker und häufiger verletzbar wurde ich und desto häufiger überkamen mich Perioden absoluter seelischer Abgestumpftheit. Über lange Perioden hin fühlte ich mich von dem Universum um mich herum vollkommen abgeschnitten, die Menschen wurden mir so fremd, als wären sie Außergalaktische, und ich besaß nicht mehr einen Funken von Glauben und Zutrauen in die

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