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Über den Wassern

Über den Wassern

Titel: Über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Höhere Macht, in deren Dienst ich feierlich mein ganzes Leben überantwortet hatte. Es gab Zeiten, da fühlte ich mich so absolut allein und verlassen, daß ich es dir wirklich nicht beschreiben könnte. Und je wütender ich mich in die Arbeit stürzte, desto sinnloser wurde das alles. Es war ein höchst grausamer Jux: Ich plagte mich ab, nehme ich heute an, um mir Gottes Gnade zu erwirken. Und statt dessen verpaßte ER mir ein paar deftige Löffel voll von Seiner Gnädigen Abwesenheit. Kommst du noch mit, Lawler?«
    »Und was glaubst du, was diesen Zustand seelischer Abgestumpftheit in dir bewirkt hat?«
    »Um das herauszufinden, bin ich hierher gekommen.«
    »Und wieso gerade hierher?«
    »Weil es hier keine organisierte Kirche gibt. Und nur höchst fragmentarische Humangemeinschaften. Weil dieser Planet als solcher uns Menschen feindlich ist. Und weil es ein Endpunkt ist, von dem aus es keine Rückkehr gibt, keine Umkehr. Genau wie das Leben selber auch.« In den Augen des Geistlichen tanzte nun etwas, das sich dem Begreifen Lawlers entzog, etwas so Verwirrendes wie eine Kerzenflamme, die statt nach oben, nach unten brennt. Er schien Lawler aus einer tiefen Ferne der Negation heraus anzustarren, einer Ewigkeit, die er erreicht wußte und in die er sehnlichst zurückzukehren wünschte. »Ich wollte mich hier bei euch selbst loswerden, verstehst du? Um mich dabei vielleicht selber wiederzufinden. Oder doch - Gott.«
    »Gott? Wo denn? Irgendwo da drunten auf dem Grund dieses unermeßlichen Ozeans?«
    »Warum nicht? Sonstwo ist ER doch nirgends zu finden, oder?«
    »Ich weiß das wirklich nicht«, begann Lawler. Doch dann ertönte von hoch über ihnen ein durchdringender Schrei.
    »Land in Sicht!« rief Pilya Braun. Sie war in den vordersten Toppen und stand auf der Rah. »Insel im Norden! Insel im Norden!«
    ABER ES GAB KEINE Inseln in diesen Gewässern. Weder nördlich noch südlich, noch östlich oder westlich! Wenn so etwas bekannt gewesen wäre, dann hätten ja alle an Bord seit Tagen danach Ausschau gehalten. Aber noch nie hatte jemand etwas von Inseln in dieser Gegend berichtet.
    Onyos Felk, der im Ruderhaus stand, stieß ein ungläubiges Grunzen aus. Kopfschüttelnd stapfte der Kartograph auf seinen kurzen Säbelbeinen auf Pilya zu. »Was schnatterst du da, Mädchen? Was für ‘ne Insel? Was hätte ‘ne Insel in dieser See verloren?«
    »Woher soll ich das wissen?« rief Pilya zurück. Sie klammerte sich mit einer Hand an ein Tau und beugte sich weit über das Deck hinaus. »Hab ich das da vielleicht hingespuckt?«
    »Aber da kann keine Insel sein!«
    »Na, dann komm doch rauf und schau es dir selber an, du alter vertrockneter Stockfisch!«
    »Was? Wie?«
    Lawler hob die Hand über die Augen und spähte in die Ferne. Doch er sah nichts als hüpfende Wasserblüten. Aber Father Quillan zerrte ihn aufgeregt am Arm. »Da! Siehst du es nicht?«
    Sah er da etwas? Doch, ja, er glaubte, daß da etwas war: Eine dünne gelblich-braune Linie am nördlichen Horizont. Vielleicht. Aber - eine Insel? Wie hätte er das entscheiden können?
    Inzwischen waren alle an Deck und rannten aufgeregt herum. Mittendrin Delagard, der in einem Arm sorgsam den Meeresglobus schützte und in der anderen ein kurzes, dickes Spähglas aus einem gelblichen Metall hielt. Onyos Felk watschelte eilig zu ihm und wollte nach dem Globus greifen. Delagard blitzte ihn giftig an und stieß ihn mit einem Zischen zurück.
    »Aber ich muß mir anschauen, was...«
    »Laß deine Pfoten davon, ja!«
    »Das Mädchen sagt, da ist eine Insel. Und ich will ihr beweisen, daß das unmöglich sein kann.«
    »Aber sie sieht doch was, oder? Vielleicht ist es eine Insel. Du weißt auch nicht alles, Onyos. Nicht alles.« Und mit wilder, fast besessener Energie schob sich Delagard an dem Kartographen vorbei, der mit offenem Mund dastand, und begann mit Hilfe seiner Ellbogen und seiner Zähne in die Takelung hinaufzuklettern. Dabei umklammerte er noch immer den Globus und das Fernglas mit den Händen. Irgendwie erreichte er die Rah, quetschte sich irgendwie zurecht und hielt sich den Spähtubus vors Auge. Unten auf Deck breitete sich ein lastendes Schweigen aus. Und nach einer unendlich langen Pause blickte Delagard wieder zu den Leuten hinab und rief: »Verdammt, wenn das keine Insel ist!« Er reichte Pilya das Suchglas und begann fieberhaft auf dem Globus zu suchen, wobei er die Ellbogen weit spreizte und übertrieben mit den Fingern herumfuhr. »Nicht Velmise, nein.

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