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Über den Zufall - Jean Paul, Hölderlin und der Roman, den ich schreibe

Titel: Über den Zufall - Jean Paul, Hölderlin und der Roman, den ich schreibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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                                                     tiefverloren
    der Frieden ist, und freibescheidenes Genügen
    und die Unruh’, und der Mangel mich treibt zum
    Überflusse des Göttertisches, wenn rings um mich 35
     
    Abgesehen davon, daß Hölderlin mit ›selbstgeschlagener Wunde‹, dem ›blutendem Herz‹ ›tiefverlorenem Frieden‹ und ›freibescheidenen Genügen‹ die Metaphorik der Passionsmystik aufnimmt, variieren die Verse ein Hauptmotiv aus dem Tod des Empedokles : Die Überhöhung des Dichters zum Gott, die zugleich als die Anmaßung des modernen, sich autonom wähnenden Menschen verstanden werden mag. Wo Hölderlin im ersten Entwurf des Empedokles schreibt, daß »der trunkne Mann / Vor allem Volk sich einen Gott genannt«, kommentiert Hölderlin dies am Rand des Manuskripts ausdrücklich als »Übermuth des Genies«. 36 Wer hier schon Ichdämmerung wähnt und ein aufgeklärtes Bild des Künstlers, verkennt Hölderlins Horizonte. Bereits wenige Szenen später stellt sich heraus, daß die Schuld des Empedokles keineswegs in der Anmaßung liegt, Gott zu sein, denn innerhalb der Logik des Dramas und mit Blick auf die theoretischen Schriften auch innerhalb Hölderlins eigener Theo-Poetik war Empedokles Gott, so wie auch der Mystiker Mansur al-Halladsch im zehnten Jahrhundert nach sufischer Lehre recht hatte, als er auf dem Marktplatz von Bagdad rief: Ich bin Gott. Schuldig wurden sie, indem sie aussprachen, was sich nur zeigen kann, aber nicht erklärt werden darf. »Wir schleudern den Ernst der Wahrheit aufs Eitle«, heißt es in Sure 21, 18, »Treffens ins Hirn, da schwindet’s; / Euch aber Weh, wenn ihrs beschreibt.« Schuldig wurde Empedokles außerdem, indem er sich absolut setzte, statt das Absolute in sich zu sehen, also in allem:
     
         Ich allein
    War Gott, und sprachs im frechen Stolz heraus. 37
     
    Die »Totalerfahrung«, die Hölderlin in seinen Homburger Aufsätzen meint, ist also gerade nicht der Titanismus, der heute hier und dort wieder aufflackert. Vielmehr gründet die künstlerische Arbeit im passiven Moment der »Empfindung«. Damit sind nicht die subjektiven Gefühle gemeint, die als Antrieb und Rohmaterial in den ästhetischen Prozeß eingehen können, sondern die Offenheit für die Eigengesetzlichkeit der dichterischen Gegenstände, die ekstatisch bis zur völligen Selbstentäußerung reichen kann, nicht zufällig analog zu der in Mystik und Pietismus angestrebten Entäußerung der Seele, zugleich der Auslöschung vordergründiger Subjektivität, die auch Jean Paul als »Ich-Sucht« ablehnt. Jemand fragte Halladsch: »Was ist Liebe?« Halladsch antwortete: »Du wirst es heute und morgen und übermorgen sehen.« Und an diesem Tage hackten sie ihm die Hände und Füße ab, am nächsten Tag hängten sie ihn, und am dritten Tag gaben sie seine Asche dem Wind. 38
    Bis in die allegorische Struktur des Dramas, bis in die zentralen Bilder, bis in die Verachtung der institutionalisierten Religion und ihrer Vertreter
     
    Hinweg! ich kann vor mir den Mann nicht sehn,
    Der Heiliges wie ein Gewerbe treibt
     
    bis in den Gegensatz zwischen dem schmutzig Wirklichen und dem sauber Korrekten, wirkt der Tod des Empedokles wie ein sufisches Lehrgedicht, wenn freilich Hölderlin vom Sufismus nicht viel wissen konnte, nichts wissen mußte, weil es die Motivwelt aller mystischen Traditionen ist, die in vielen Sprachen und von vielen Ausgangspunkten, mit und ohne Gottesbegriff, als passive oder schöpferische Erfahrung auf das zielen, was im Vaterunser wie im täglichen Gebet meines Großvaters als Ergebung in Gottes Willen gefaßt wird. Christlich spielt das Moment in alle Entwürfe des Idealismus bis in die Negative Dialetik Adornos hinein. Es gab – ein kurzes Stück der Fäden –, es gab unter den Sufis alchimistische Zirkel oder Orden, die sich als Jünger des Empedokles bezeichneten. Hölderlin schöpft also tatsächlich aus derselben Quelle wie Schihaboddin Sohrawardi oder al-Halladsch, die ihre physische Vernichtung als Fest begingen: »Tötet mich, o meine Freunde, / denn im Tod nur ist mein Leben, / Und mein Leben ist im Sterben, / und mein Sterben ist im Leben.« 39 Das ist auch das Thema von Hölderlins Drama, bereits im Titel hervorgehoben: sein Tod, aber nicht als Ende, sondern als Auflösung, nachdem die ursprüngliche Identität zerbrach. Empedokles bringt sich ja nicht einfach um: Er stürzt sich in einen Vulkan,

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