Über den Zufall - Jean Paul, Hölderlin und der Roman, den ich schreibe
tüftelte mit Programmierern an der geeigneten Software und ließ von jedem Farbton 72 Quadrate herstellen. Aber dann hat er auf einen Knopf gedrückt, die Taste eines Computers, der die 72 mal 72 Farben durch einen Zufallsgenerator anordnete. Was der Genieästhetik Gott war, ist heute diese Taste.
Tiefgründiger als in Jean Pauls Vorschule der Ästhetik , die manchmal zu gut über alles Bescheid weiß, ist in Hölderlins mehr suchender als wegweisender Poetik das Göttliche als das bezeichnet, was mit Formulierungen wie dem taoistischen »Tun des Nichtstun« alle mystischen Traditionen kennen. »Herr, gib mir nichts, als was du willst«, sagt Meister Eckhart etwas Ähnliches christlich, 27 oder bereits Johannes der Täufer: »Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen.« (Joh. 3,30) Zum Zufall säkularisiert, muß es auch heute sich ereignen, will Literatur über das hinausgehen, was in einem Einzelnen geschieht. Jean Paul gibt Definitionen, benennt Schulen, analysiert Stile, theoretisiert den Humor, seziert kurze Passagen aus eigenen und fremden Texten, lehrt den besseren Gebrauch der Sprache, und alles ist schlüssig, ist hilfreich und noch heutigen Schreibwerkstätten aufgetragen. Er polemisiert wieder und wieder gegen die »Ich-Sucht« der zeitgenössischen Literatur, »das Denken, Dichten und Tun der ausgeleerten Selbstlinge«, 28 und verfaßt mit dem Titan einen eigenen Roman gegen den Geniekult, in welchem er Fichtes reinem Ich das kümmerliche Ich eines realen Fichteaners entgegenhält. Aber wenn Jean Paul bezeichnet, wo in seinen Romanen, die noch häufiger von und über Jean Paul sprechen als heute John Coetzee von und über sich, wo das eigene Ich aufhört, geraten die Formulierungen in der Vorschule so schwärmerisch, wie sie der eigenen Besonnenheitslehre nach nicht sein dürften. Vom Unbewußten spricht er, das im Dichter das Mächtigste sei, und von dem
überirdischen Engel des inneren Lebens, diesen Todesengel des Weltlichen im Menschen. 29
Ich wage eine These, die mir die Germanisten wahrscheinlich um die Ohren schlagen werden, indem sie mir dieses oder jenes Traktat vorhalten, das Jean Paul sehr wohl kannte, schätzte, begeisterte: Deshalb spricht Jean Paul nur psychologisch vom Unbewußten, an anderer Stelle so unscharf von Instinkt oder poetisch von Engeln, weil ihm bei aller Belesenheit die innere Erfahrung der christlichen Mystiker fremd geblieben ist, die im Deutschen lange zuvor die Begriffe für den Prozeß geprägt hatten, der Subjektivität durch ihre Negation errettet. Hingegen Hölderlin übertrug mit dem Idealismus die dialektische Bewegung des Ichs aus der christlichen Mystik in die Poetik und blieb dabei in seinem religiösen Empfinden weit mehr als seine Mitschüler Hegel und Schelling von der Innerlichkeit des Pietismus geprägt. Das Vokabular von Entwerden, Entblößung, Reinheit und Leersein, das mein Großvater freitags bei seinem mystischen Lehrer in Isfahan hörte und jeden Abend im Masnawi von Rumi las, kannte Hölderlin aus den Liedern der eigenen Kirche: »Eigen Können, eigen Haben / Eigen Dichten jederzeit / Bleibe ganz in mir vergraben, / Weg, hinweg all Eigenheit!« 30 Auch so erklärt sich, nicht nur mit den Griechen, daß die Fähigkeit der »Totalerfahrung«, die für Hölderlin das Genie ausmacht, nicht primär etwas Schöpferisches, Produktives ist, wie es der Geniekult predigte. Und bleibt die Aufgabe eigenen Wollens in den Kirchenliedern und pietistischen Traktaten noch unspezifisch, wird sie in den Schriften der Mystiker dezidiert auf den literarischen Akt bezogen. »Denn der Geist ging hindurch als ein Blitz«, heißt es bei Jacob Böhme, den Hölderlin nachgewiesenermaßen in der Bibliothek des Tübinger Stifts studierte: »Ich fieng an zu schreiben wie ein Knabe in der Schule, und schrieb also in meiner Erkenntniß und eiferigem Trieb immerhin fort und allein für mich selber ... als wäre es ein Werck, das mir aufgelegt wäre, daß ichs treiben müste. Ich empfand mächtig des neu-angezündeten Licht-Geistes Willen: Aber meine Seele war vor und in ihm, als ein unverständig Kind; Sie ging also in den Rosen-Garten ihrer Mutter, und that als ein Knecht in Gehorsam; und mir ward gegeben, alles auf magische Art aufs Papier zu entwerfen.« 31
Wie alle Gebildeten kannte Hölderlin Vorstellungen der Gottbesessenheit auch von den Griechen, mehr noch: waren antike Bezeichnungen des Dichters als secundus deus oder alter deus bereits Gemeinplätze geworden. Bei
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