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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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Gesetze verbunden sind. Ich habe Verstand; ich trage also die Mittel in mir, der Bestrafung zu entgehen. Und wenn mir dies nicht gut bekommen sollte: so habe ich Entschlossenheit genug, mich damit bei mir selbst zu entschuldigen, daß ich mich getäuscht habe; und dabei liebe ich mehr die Freuden und Zufälle eines großen Spieles, als die Eintönigkeit einer regelmäßigen Existenz.“
    Wie viel französische Werke de abgewichenen Jahrhunderts haben nicht diese Argumente kommentirt, die man nie ganz wird widerlegen können; denn, wenn von Glückwürfen die Rede ist: so kann ein einziger hinreichend seyn, die Einbildungskraft anzuregen, alles zu thun, um ihn zu erhalten; und wahrlich, es läßt sich mehr als eins gegen tausend darauf wetten, daß es dem Laster gelingen werde.
    „Aber — so werden mehrere ehrliche Anhänger der auf Eigennutz gegründeten Moral sagen — diese Moral schließt ja den Einfluß der Religion auf die Gemüther nicht aus.“ — Welchen schwachen, jämmerlichen Antheil läßt man ihr übrig! Wenn alle, im Felde der Philosophie und der Moral angenommene Systeme der Religion entgegen sind, wenn die Metaphysik den Glauben an das Unsichtbare verdammt, und die Moral es mit der Aufopferung seiner selbst nicht besser macht: so steht die Religion in den Ideen eben so da, wie der König in der Constitution, welche die constituirende Versammlung beschlossen hatte. So wie dies eine Republik plus einen König war, eben so behaupte ich, daß alle Systeme materialistischer Metaphysik und selbstischer Moral der Atheismus plus einen Gott sind. Es ist also leicht vorherzusehen, was in dem Gedankenbau aufgeopfert werden wird, wenn man der Central-Idee der Welt und unserer selbst nur den überflüssigen Platz einräumt.
    Das Betragen eines Menschen ist nur dann moralisch, wenn er die glücklichen oder unglücklichen Folgen seiner Handlungen, sobald diese von der Pflicht dictirt sind, für nichts achtet. Bei der Leitung der Angelegenheiten dieser Welt muß man zwar die Verkettung der Ursachen und Wirkungen, der Mittel und des Zwecks, stets vor Augen haben; aber diese Klugheit verhält sich zur Tugend, wie der gesunde Menschenverstand zum Genie: alles, was wahrhaft schön ist, ist eingegeben, so wie alles Uneigennützige religiös ist. Die Berechnung ist der Handarbeiter des Genies, der Diener des Gemüths; wird sie aber der Herr, dann ist nichts Großes und Edles mehr in dem Menschen. Als Führer ist die Berechnung im Leben zulässig, aber nie als Triebfeder unserer Handlungen. Sie ist ein gutes Vollziehungsmittel; allein die Quelle des Wollens muß von einer erhabneren Beschaffenheit seyn; man muß ein inneres Gefühl in sich tragen, welches uns zur Aufopferung unserer persönlichen Vortheile nöthigt.
    Als man den h. Vincenz von Paula verhindern wollte, sich den größten Gefahren auszusetzen, um den Unglücklichen beizustehen, antwortete er: „Glaubt ihr, daß ich so niederträchtig bin, mein Leben mir selbst vorzuziehen?" Wenn die Anhänger der auf Eigennutz gegründeten Moral von diesem Eigennutz alles trennen wollen, was das irdische Daseyn angeht, dann werden sie mit den religiösesten Menschen einverstanden seyn; und selbst dann, noch müßte man ihnen die schlechten Ausdrücke, derer sie sich bedienen, zum Vorwurfe machen.
    In der That, wird man sagen, es dreht sich hier alles um einen Wortstreit: was wir nützlich nennen, das nennt ihr tugendhaft, aber, wie ihr, setzen wir das wohlverstandene Interesse darin, daß man seine Leidenschaften seinen Pfiichten zum Opfer bringe. — Wortstreite sind immer Sachstreite; denn alle aufrichtigen Menschen werden eingestehen, daß sie an dem und dem Worte nur aus Vorliebe für die und die Idee hängen. Wie könnten Worte, die in den allergemeinsten Beziehungen gebraucht werden, edle Gefühle einflößen? Wenn man die Wörter: Eigennutz und Nützlichkeit ausspricht, wird man dann in dem Herzen dieselben Gedanken wecken, wie bei einer Beschwörung im Namen der Aufopferung und - Tugend?
    Als Thomas Morus lieber auf dem Schaffot sterben, als den Gipfel menschlicher Größe mit Aufopferung eines Gewissens-Skrupels ersteigen wollte; als er, nach einem einjährigen Aufenthalt im Kerker von Leiden abgeschwächt, sich weigerte, seine Frau und seine Kinder wiederzusehen, und sich von neuem den Beschäftigungen des Geistes zu überlassen, welche dem Daseyn zugleich Ruhe und Tätigkeit gewähren; als die bloße Ehre, diese weltliche Religion, einen alten König von

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