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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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entwickeln.
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Zwölftes Capitel. Von der auf persönlichen Vortheil gegründeten Moral.
    Die französischen Schriftsteller haben vollkommen Recht gehabt, wenn sie die auf den Vortheil gegründete Moral als eine Folge derjenigen Metaphysik betrachteten, welche alle Ideen den Sensationen zuschreibt. Denn, wenn in dem Gemüthe nichts weiter enthalten ist, als was Sensationen darin niedergelegt haben: so muß das Angenehme und das Unangenehme die einzige Triebfeder unseres Willens seyn. Helvetius, Diderot, St. Lambert, sind nicht von dieser Linie abgewichen; sie haben alle Handlungen, selbst die Aufopferung der Märtyrer, aus der Selbstliebe erklärt. Die Engländer, welche sich größtentheils in der Metaphysik zur Erfahrungs-Philosophie bekennen, haben gleichwol nie die auf den Vortheil gegründete Moral zu ertragen vermocht. Shaftsbury, Hutcheson, Smith u.s.w. haben den moralischen Sinn und die Sympathie als die Quelle aller Tugenden proklamirt; und Hume selbst, der größte Skeptiker unter den englischen Philosophen, hat diese Theorie der Selbstliebe, welche die Schönheit des Gemüths brandmarkt, nicht ohne Ekel lesen können. Den Meinungen deutscher Philosophen steht im Ganzen nichts so sehr entgegen, als dies System; auch haben die philophischen und moralistischen Schriftsteller unter den Deutschen, an deren Spitze man Kant, Fichte und Jacobi stellen muß, es siegreich bekämpft.
    Da die Tendenz der Menschen nach Wohlseyn die allgemeinste und thätigste von allen ist: so hat man die Moralität am besten zu begründen geglaubt, wenn man von ihr sagte: sie bestehe in dem wohlverstandenen persönlichen Vortheil. Diese Idee hat treuherzige Menschen verführt, und Andere haben sich vorgenommen, sie zu misbrauchen, ohne daß es ihnen damit vorzüglich gelungen wäre. Unstreitig bringen die Gesetze der Natur und der Gesellschaft das Glück und die Tugend in Harmonie; aber diese Gesetze unterliegen sehr zahlreichen Ausnahmen, und scheinen noch weit mehr zuzulassen, als wirklich Statt finden.
    Jenen Argumenten, welche von dem Glück des Lasters und den Unfällen der Tugend hergenommen sind, entschlüpft man dadurch, daß man das Wohlseyn in die Zufriedenheit des Gewissens setzet; allein diese Zufriedenheit gehört einer durchaus religiösen Ordnung an, und hat mit dem, was hienieden durch das Wort „Wohlseyn" bezeichnet wird, nichts gemein. Aufopferung oder Selbstheit, Laster oder Tugend, ein gut oder schlecht verstandenes persönliches Interesse nennen, heißt, die Kluft ausfüllen wollen, welche den Schuldigen von dem Rechtschaffenen trennt, heißt, die Achtung zerstören, heißt den Unwillen schwächen; denn wenn die Moral nur ein guter Calcul ist: so darf Derjenige, welcher dagegen sündigt, nur des verbildeten Verstandes angeklagt werden. Man könnte gegen den Einen, weil er gut calculirt, nicht das edle Gefühl der Hochachtung, noch gegen den Andern, weil er schlecht calculirt, eine kräftige Verachtung empfinden. Durch dieses System ist man also zu dem Hauptzweck aller verderbten Menschen gelangt, welche das Gerechte und Ungerechte auf gleiche Wage bringen, wenigstens das Eine wie das Andere als eine gut oder schlecht gespielte Rolle betrachtet wissen wollen. Auch bedienen sich die Philosophen dieser Schule weit öfters des Worts: Fehltritte, als des Worts: Verbrechen; denn, in ihrer Ansicht giebt es bei der Ausführung nur geschickte oder ungeschickte Combinationen.
    Unbegreiflich würden in einem solchen System die Gewissensbisse seyn. Ist der Verbrecher bestraft: so muß er die Art von Reue empfinden, welche eine verfehlte Spekulation verursacht; denn wenn unser eigenes Glück unser Hauptzweck ist, wenn wir uns einziger Selbstzweck sind: so muß zwischen diesen beiden Verbündeten, ich meine dem, der Unrecht gehabt hat, und dem, der davon leidet, der Friede bald wieder hergestellt seyn. Ein beinahe allgemein angenommenes Sprüchwort sagt, daß Jeder frei ist in dem, was nur ihn angehet. Da nun in der auf den Vortheil gegründeten Moral immer nur von dem eignen Selbst die Rede ist: so weiß ich wahrlich nicht, was man Dem antworten wollte, der da sagte: „Du machst zur einzigen Triebfeder meiner Handlungen meinen eigenen Vortheil. Schönen Dank dafür! Aber die Art und Weise, diesen Vortheil ins Auge zu fassen, hängt nothwendig von dem Charakter eines Jeden ab. Ich habe Muth; ich kann also mehr als ein Aderer den Gefahren trotzen, welche mit dem Ungehorsam gegen einmal angenommene

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