Ueber Deutschland
Frankreich in die Kerker von England zurückführte, weil sein Sohn nicht das Versprechen gehalten hatte, wovon seine Freiheit die Folge war; als die Christen in den Catacomben lebten, auf das Tageslicht verzichteten, und den Himmel nur in ihrem Gemüthe fühlten: wenn damahls Jemand gesagt hätte, sie verständen sich auf ihren Vortheil, welcher Frost würde sich in allen ihren Adern bei diesen Worten verbreitet haben, und um wieviel besser hätte ein gerührter Blick uns enthüllt, was in solchen Menschen erhaben ist!
Wahrlich, das Leben ist nicht so unfruchtbar, als die Selbstheit es uns gemacht hat. Nicht alles darin ist Klugheit, nicht alles Berechnung; und wenn eine erhabene Handlung alle Mächte unseres Wesens erschüttert: so denken wir nicht, der sich selbst aufopfernde Mensch habe seinen persönlichen Vortheil gut verstanden, gut verbunden. Wir denken vielmehr, er opfere zwar alle seine Freuden, alle Vorzüge dieser Welt, aber ein göttlicher Strahl sey in sein Herz gefallen, um ihm eine Art von Glückseligkeit zu gewähren, die sich zu allem, was wir so zu benennen pflegen, verhält, wie die Unsterblichkeit zum Leben.
Und doch giebt man sich nicht ohne Ursache so viel Mühe, die Moral auf den persönlichen Eigennutz zu gründen. Es sieht so aus, als vertheidige man nur eine Theorie, während es zuletzt eine sehr scharfsinnige Ideenverknüpfung ist, um das Joch vor jeder Art von Autorität festzustellen. Keiner, wie verderbt er auch seyn möge, wird behaupten, daß es keiner Moral bedürfe; denn selbst Derjenige, der die meiste Entschlossenheit hatte, sich darüber hinauszusetzen, möchte noch mit Betrogenen zu thun haben, die sie beibehalten. Aber welche Geschicklichkeit, der Moral die Klugheit zur Grundlage gegeben zu haben! Welch ein freier Zutritt ist dem Uebergewicht der Macht, der Abfindung mit dem Gewissen und allen den beweglichen Rathschlägen der Ereignisse gegeben!
Soll die Berechnung in Allem den Vorsitz führen: so müssen die Handlungen der Menschen nach dem Erfolge beurtheilt werden, so wird man Den, dessen gute Gefühle ein Unglück verursacht haben, tadeln, und den Verkehrten aber Gewandten mit Lob erschütten; und da die Einzelnen sich unter einander nur als Hindernisse oder als Werkzeuge betrachten: so werden sie sich als Hindernisse hassen und sich nur noch als Werkzeuge schätzen. Das Verbrechen selbst hat mehr Größe, wenn es aus der Unordnung entflammter Leidenschaften herrührt, als wenn es den persönlichen Vortheil zum Zweck hat. Wie kann man doch der Tugend etwas zum Princip geben, was selbst das Laster entehren würde!
[In dem Werke Benthams , über die Gesetzgebung, so wie es von Herrn Dumont bekannt gemacht, oder vielmehr aufgehellt ist, giebt es verschiedene Raisonnements über das Princip des Nützlichen, welche in mehr als einer Hinsicht mit dem System einer auf persönlichen Vortheil gestützten Moral übereinstimmen. Die bekannte Anekdote vom Aristides, welcher einen Entwurf des Themistokles verwerfen machte, indem er den Atheniensern sagte: dieser Entwurf sey zwar vortheilhaft, aber ungerecht, wird von Herrn Dumont angeführt; aber er bezieht die Folgerungen, die man aus diesem Zuge, wie aus so vielen anderen, herleiten kann, auf die allgemeine Nützlichkeit, welche Bentham zur Grundlage aller Pflichten macht. Der Vortheil jedes Einzelnen, sagt er, muß dem Nutzen aller aufgeopfert werden; so wie der Vortheil des Augenblicks dem der Zukunft, indem er einen Schritt vorwärts thut. Zugeben könnte man, die Tugend bestehe darin, daß man die Zeit der Ewigkeit aufopfert, und diese Art von Berechnung würde von den Anhängern des Enthusiasmus nicht getadelt werden: aber welche Anstrengungen auch ein so überlegener Mann, wie Herr Dumont ist, versuchen möge, um dem Sinn der Nützlichkeit eine größere Ausdehnung zu geben: so kann er doch niemals machen, daß dies Wort mit dem Worte Aufopferung synonym werde. Er sagt, die erste Triebfeder menschlicher Handlungen sey das Vergnügen und der Schmerz: und er setzt alsdann voraus, das Vergnügen edler Gemüther bestehe darin, daß sie sich freiwillig materiellen Leiden aussetzen, um Freuden einer höheren Gattung zu erwerben. Unstreitig ist es leicht, aus jedem Worte einen Spiegel zu machen, welcher alle Ideen reflektirt; will man sich aber an die natürliche Bezeichnung jedes Ausdrucks halten, so wird man finden, daß der Mensch, welchem gesagt wird, sein eigenes Glück müsse der Zweck aller seiner Handlungen seyn, dadurch
Weitere Kostenlose Bücher