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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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Begehung derselben nicht minder verworfen und verbrecherisch seyn; denn die Unverletzbarkeit der Grundsätze der Moral bedeutet mehr, als die Interessen der Völker. Das Individuum und die Gesellschaft sind vor allen Dingen verantwortlich für das himmlische Erbtheil, welches den nachfolgenden Geschlechtern des menschlichen Geschlechts Übermacht werden soll. Der Stolz, die Großmuth, die Billigkeit, kurz alle edlen Gefühle müssen erst auf unsere Kosten, und dann auch auf Kosten Anderer gerettet werden, weil die Anderen sich, wie wir, diesen Gefühlen aufopfern sollen.
    Die Ungerechtigkeit opfert immer irgend einen Theil der Gesellschaft dem anderen auf. Bis zu welchem arithmetischen Calcul ist dieses Opfer geboten? Kann die Mehrzahl über die Minderzahl verfügen, wenn die eine nur durch wenige Stimmen über die andere siegt? Die Mitglieder einer Familie, eine Gesellschaft von Kaufleuten, der Adel, die Geistlichkeit, wie zahlreich sie immer seyn mögen, haben nicht das Recht, zu behaupten, alles müsse ihrem Vortheil weichen; allein, wenn eine Vereinigung, wäre sie auch so unbeträchtlich, wie die Römer in ihrem ersten Ursprunge — wenn, sag' ich, diese Vereinigung sich Nation nennt: so soll ihr alles erlaubt seyn, um sich Vortheile zuzuwenden! Das Wort: Nation würde alsdann gleichbedeutend seyn mit dem Legion: welches sich der Teufel im Evangelium besiegt. Gleichwol giebt es für eine Nation keinen Beweggrund mehr zur Aufopferung der Pflicht, als für jede andere Menschenklasse.
    Es ist nie die Menge der Individuen, welche ihre Wichtigkeit in moralischer Hinsicht darstellt. Stirbt ein Unschuldiger auf dem Schaffot: so beschäftigen sich ganze Generationen mit seinem Unglück, während tausende von Menschen in Schlachten sterben, ohne daß man nach ihrem Schicksal frägt. Woher dieser auffallende Unterschied, welchen alle Menschen zwischen einer Ungerechtigkeit, die einem Einzigen zugefügt wird, und dem Tode von Mehreren machen? Dies rührt von dem Gewicht her, welches alle auf das moralische Gesetz legen; dieses ist im Universum, und in dem Gemüthe eines Jeden, das auch ein Universum ist, tausendmal mehr, als das physische Leben.
    Macht man aus der Moral nur eine Berechnung der Klugheit und Weisheit, eine häusliche Wirthschaft: so ist es beinahe Energie, nichts mit dieser Moral zu schaffen zu haben. Eine Art von Lächerlichkeit trifft die Staatsmänner, die das bewahren, was man romanhafte Maximen, treue Erfüllung eingegangener Verbindlichkeiten, Achtung für individuelle Rechte u.s.w. nennt. Privat-Personen, welche auf ihre eigene Kosten betrogen seyn wollen, verzeihet man diese Gewissensskrupel; aber ist von Solchen die Rede, die über das Schicksal der Völker verfügen: so soll es Umstände geben, wo man sie wegen ihrer Gerechtigkeit tadeln, wegen ihrer Rechtlichkeit anklagen könne; denn, wenn die Privat-Moral auf den persönlichen Eigennutz gegründet ist, um wie vielmehr muß es die öffentliche Moral auf das National-Interesse seyn! Gleichwohl konnte diese Moral gelegenheitlich aus den größten Verbrechen eine Pflicht machen; so leicht ist es, denjenigen zur Abgeschmacktheit hinzuführen, der sich von den einfachen Grundlagen der Wahrheit entfernt. Rousseau hat gesagt: es sey einer Nation nicht erlaubt, die allerwünschenswertheste Umwälzung mit dem Blute eines Unschuldigen zu erkaufen; und diese einfachen Worte enthalten alles, was in der Bestimmung des Menschen wahr, heilig und göttlich ist.
    Zuverlässig sind uns Gewissen und Religion nicht geschenkt worden, um der Vorzüge dieses Lebens willen, oder um einigen Tagen unseres Daseyns ein Paar Genüsse mehr zuzuwenden, oder den Tod einiger Sterbenden ein wenig zu verzögern. Gegeben sind sie uns, damit Geschöpfe, die einen freien Willen besitzen, mit Aufopferung des Nützlichen das Gerechte wählen, der Gegenwart die Zukunft vorziehen, wie dem Sichtbaren das Unsichtbare, und der Erhaltung von Individuen die Würde des menschlichen Geschlechtes.
    Individuen sind tugendhaft, wenn sie ihr besonderes Interesse dem allgemeinen zum Opfer bringen; aber Regierungen werden ihrerseits zu Individuen, welche ihre persönlichen Vortheile dem Gesetz der Pflicht aufopfern müssen. Wenn die Moral der Staatsmänner nur auf die öffentliche Wohlfahrt gegründet wäre: so könnte sie, wo nicht immer, doch wenigstens bisweilen, zum Verbrechen führen, und es ist mit einer gerechtfertigten Ausnahme genug, wenn es keine Moral in der Welt mehr geben soll. Denn alle

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