Ueber Deutschland
nicht verhindert werde, das Böse zu thun, was ihm ansteht, es sey denn durch die Furcht oder die Gefahr, bestraft zu werden — eine Furcht, über welche sich die Leidenschaft hinaussetzt — eine Gefahr, welcher zu entkommen der Gewandte sich schmeicheln darf. Aber, worauf gründet ihr — wird man fragen, die Idee des Gerechten und Ungerechten, wenn ihr sie nicht auf das gründet, was der Mehrheit nützlich oder schädlich ist? Für Individuen besteht das Gerechte in ihrer Aufopferung an ihre Familie; für die Familie in der Aufopferung ihrer selbst an den Staat, und für den Staat in der Achtung gegen gewisse unveränderliche Grundsätze, welche das Glück und die Wohlfahrt des menschlichen Geschlechts zum Zweck haben. Ohne Zweifel wird die Majorität der Geschlechter während der Dauer von Jahrhunderten sich wohl dabei befinden, der Bahn der Gerechtigkeit gefolgt zu seyn; aber um wahrhaft und religiös ehrlich zu seyn, muß man immer den Anbau des moralisch Schönen unabhängig von allen Umständen, welche daraus hervorgehen können, im Auge behalten. Die Nützlichkeit wird nothwendig durch die Umstände modificirt; die Tugend darf es niemals werden.]
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Dreizehntes Capitel. Von der auf das National-Interesse gegründeten Moral.
Die auf den persönlichen Eigennutz gegründete Moral bringt nicht blos in die Verhältnisse der Individuen unter sich Berechnungen der Klugheit und des Egoismus, welche die Sympathie, das Vertrauen und die Großmuth aus denselben verbannen; auch die Moral der Staatsmänner, derjenigen, die im Namen der Nationen unterhandeln, muß durch dieses System nothwendig verkehrt werden.
Wenn es wahr ist, daß die Moral der Individuen auf ihren Vortheil gegründet werden kann: so ist es nur deshalb wahr, weil die ganze Gesellschaft zur Ordnung hinstrebt, und denjenigen bestraft, der sich davon zu entfernen gedenkt. Aber eine Nation, vorzüglich aber ein mächtiger Staat, ist ein vereinzeltes Wesen, welches die Gesetze der Gegenseitigkeit nicht erreichen können. Mit Wahrheit läßt sich behaupten, daß ungerechte Nationen nach einer Reihe von Jahren dem Hasse unterliegen, welche ihre Ungerechtigkeiten einflößen; allein mehrere Generationen können verschwinden, ehe so ungeheure Fehler bestraft werden, und ich wüßte nicht, wie man dem Staatsmanne unter allen Umständen beweisen wollte, daß der eine oder der andere Entschluß, obgleich verdammlich in sich selbst, nicht nützlich sey, und daß die Moral und die Politik immer im Einverständniß sind. Auch beweiset man es nicht, und es steht beinahe als Grundsatz fest, daß sie nicht zu vereinigen sind.
Was würde indeß aus dem menschlichen Geschlechte werden, wenn die Moral nichts anderes wäre, als ein altes Weibermärchen, gut genug, die Schwachen bis zu dem Zeitpunkte zu trösten, wo sie die Stärkeren geworden sind? Wie könnte sie für Privat-Verhältnisse in Ehren bleiben, wenn man darüber einig wäre, daß der Gegenstand aller Blicke, die Regierung, ohne sie fertig werden könne? Und warum sollte man darüber nicht einig seyn, wenn der Eigennutz die Grundlage der Moral ist? Es läßt sich nicht läugnen, daß es Umstände giebt, wo diese große Massen, welche man Reiche nennt, diese im Naturzustande gegen einander befindlichen Massen, einen augenblicklichen Vortheil dabei finden, daß sie eine Ungerechtigkeit begehen; aber die folgende Generation hat beinahe beständig dafür gebüßt.
Kant hat in seiner politischen Moral mit ungemeiner Stärke bewiesen, daß in dem Codex der Pflichten keine Ausnahme gestattet werden kann. Und in Wahrheit, wenn man, um eine unmoralische Handlung zu entschuldigen, sich auf die Umstände stützt, auf welches Princip könnte man sich gründen, um da und da stille zu stehen? Werden die ungestümsten natürlichen Leidenschaften nicht noch weit leichter gerechtfertigt werden, als die Berechnungen der Vernunft, wenn man das öffentliche oder das besondere Interesse als eine Entschuldigung der Ungerechtigkeit zuließe?
Als man in der blutigsten Periode unserer Revolution alle Verbrechen autorisiren wollte, nannte man die Regierung einen Ausschuß der öffentlichen Wohlfahrt . Dieß hieß jene Maxime, daß die Wohlfahrt des Volks das höchste Gesetz ist, ins Licht stellen. Aber das höchste Gesetz ist die Gerechtigkeit; und wenn bewiesen werden könnte, daß man den irdischen Vortheilen eines Volks durch eine Niederträchtigkeit oder Ungerechtigkeit nütze: so würde man durch
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