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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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Paßlichkeit des Geistes des Umgangs zu entwickeln. Die Range waren auf keine positive Weise bezeichnet, und in dem gewissen Raum, den Jeder erobern und verlieren konnte, bewegten sich unabläßig die Ansprüche. Die Rechte des dritten Standes, der Parlamente, des Adels, selbst die Macht des Königes – nichts von allem diesen war auf eine unabänderliche Weise abgegränzt; alles ging in Geschicklichkeit des Umgangs über; den wesentlichsten Schwierigkeiten wurde durch zarte Abstufungen in Worten und Manieren ausgewichen, und selten kam es dahin, daß man an einander rannte, oder wich, so sorgfältig bog einer dem Anderen aus. Auch unter sich hatten die großen Familien nie zur Sprache gebrachte und doch immer wohl verstandene Ansprüche, und diese Unbestimmtheit war ein weit stärkeres Reizmittel für die Eitelkeit, als die allerbestimmtesten Rangordnungen gewesen seyn würden. Studiren mußte man alles, was zum Daseyn eines Mannes oder einer Frau gehörte, um die Achtung zu kennen, die man ihnen schuldig war. Das Willkührliche in allen Gestalten ist von jeher in den Gewohnheiten, Sitten und Gesetzen Frankreichs vorherrschend gewesen; und daher kommt es, daß die Franzosen, wenn man sich so ausdrücken darf, wahre Pedanten in der Leichtfertigkeit geworden sind; da die Hauptgrundlagen nicht befestigt waren, so wollte man der unbedeutendsten Einzelnheiten Consistenz geben. In England gestattet man Individuen Ursprünglichkeit; denn die Masse ist gut geordnet. In Frankreich scheint der Nachahmungsgeist ein Gesellschaftsband zu seyn; alles würde in Unordnung gerathen, wenn dieser Band nicht das Ergänzungsmittel wandelbarer Institutionen wäre.
    In Deutschland ist Jeder in seinem Range, auf seinem Platze, wie auf einem Posten, und es bedarf am wenigsten geschickter Wendungen, Parenthesen und Halbwörter, um die Vorzüge auszudrücken, die man durch Geburt oder durch Titel vor seinem Nachbar hat. In Deutschland wird die gute Gesellschaft durch den Hof gebildet; in Frankreich waren es alle diejenigen, die sich mit ihm auf den Fluß der Gleichheit setzen konnten; und Alle durften dies hoffen, und Alle durften auch fürchten, nie dahin zu gelangen. Hieraus entstand, daß Jeder die Manieren dieser Gesellschaft haben wollte. In Deutschland verschafft ein Diplom den Zutritt; in Frankreich verbannte ein Mangel an Geschmack vom Hofe, und man beeiferte sich weit mehr, den Weltleuten ähnlich zu werden, als sich in der Welt selbst durch persönliche Tapferkeit auszuzeichnen. Eine aristokratische Macht, der gute Ton und die Eleganz galten mehr, als Energie, Tiefe, Gefühl, und Geist sogar. Diese sagten zur Energie: du legst zu viel Gewicht auf Personen und Dinge; zur Tiefe: du nimmst mir zuviel Zeit weg; zum Gefühl: du bist, allzu ausschließend; zum Geiste endlich: du bist eine allzu individuelle Auszeichnung. Es bedurfte solcher Vorzüuge, die mehr mit den Manieren, als mit den Ideen zusammenhingen; und es kam darauf an, in einem Menschen mehr die Classe, zu welcher er gehörte, als sein eigenthümliches Verdienst zu erkennen. Diese Art von Gleichheit in der Ungleichheit ist mittelmäßigen Menschen sehr günstig; denn sie muß in der Art zu sehen und sich auszudrücken alle Eigenthümlichkeit zerstören. Das gewählte Modell ist edel, anmuthig und nicht ohne Geschmack; aber es ist für alle dasselbe, es ist ein Einigungspunkt. Was sich ihm anschmiegt, glaubt mit seines Gleichen umzugehen. Einem Franzosen würde es langweiliger seyn, mit seiner Meinung, als auf seinem Zimmer allein zu seyn.
    Man würde Unrecht haben, wenn man den Franzosen beschuldigen wolle, er schmeichle der Macht durch die gewöhnlichen Berechnungen, welche diese Schmeichelei einflößen. Sie gehen wohin alle Welt geht; Ungnade oder Ansehn, gleichviel. Wenn Einzelne sich für die Menge ausgeben, so können sie darauf rechnen, daß sie wirklich kommen wird. Im Jahr 1789 hat man die Revolution in Frankreich dadurch gemacht, daß man einen Eilboten aussandte, der von einem Dorfe zum andern ausrief: bewaffnet euch, denn das benachbarte Dorf hat sich bewaffnet; alles stand gegen alle, eigentlich gegen niemand auf. Wenn man das Gerücht verbreiten wollte: die und die Manier zu sehen, sey allgemein angenommen; so würde man, selbst gegen das innere Gefühl eines Jeden Einhälligkeit erleben; man würde sich alsdann, um mich so auszudrücken, das Geheimniß der Comödie bewahren; denn unter vier Augen würde jeder eingestehn, daß Alle Unrecht haben. Bei geheimen

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