Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
Vom Netzwerk:
auch immer die innere Stimmung ihrer Seele seyn möge; die Physiognomie gewinnt Einfluß auf das, was man empfindet, und das, was man thut, um Anderen zu gefallen, stumpft im Innern das eigene Gefühl ab.
    Eine Frau von Geist hat gesagt: »Paris sey von allen Oertern der Welt derjenige, wo man das Glück am leichtesten entbehren könnte.« [Von der Censur unterdrückt, unter dem Vorwand, daß es gegenwärtig so viel Glück in Paris gebe, daß man nicht nöthig habe, es zu entbehren.] In dieser Beziehung paßt es so vortrefflich zu der armseligen Menschengattung; aber nichts könnte eine deutsche Stadt zu Paris machen, nichts bewirken, daß die Deutschen, ohne sich ganz zu verderben, wie wir, in der Zerstreuung eine Wohlthat antreffen könnten. Sich unaufhörlich selbst entrinnend, würden sie sich zuletzt nicht mehr wiederfinden.
    Das Talent und die Gewohnheit des Umgangs, dienen sehr, die Menschen kennen zu lernen. Um als Sprecher Glück zu machen, muß man mit Scharfsinn den Eindruck beobachten, den man jeden Augenblick auf sie macht, sowohl den, den sie uns verbergen möchten, als den, den sie zu übertreiben suchen – die beherrschte Zufriedenheit der Einen, das erzwungene Lächeln der Andern. An der Stirne der Zuhörer sieht man, wie leichte Wolken, gewisse Halbtadel vorübergehn, die man vermeiden kann, wenn man sich beeilt, sie zu zerstreuen, ehe die Eigenliebe ins Spiel gezogen ist. An ihr sieht man auch die Zeichen der Billigung, die man festhalten muß, ohne gleichwohl mehr von ihr zu verlangen, als sie leisten möchte. Es giebt keinen Kampfplatz, wo die Eitelkeit sich in mannichfaltigern Gestalten zeigt, als die Unterhaltung.
    Ich habe einen Mann gekannt, den das Lob so in Athem setzte, daß, wenn er dergleichen erhielt, er alles, was er gesagt hatte, übertrieb, und, um den glücklichen Erfolg zu verstärken, immer damit endigte, daß er ihn einbüßte; ich wagte es nicht, ihm meinen Beifall zu geben, aus bloßer Furcht, er möchte zur Affectation übergehen, und sich aus gutherziger Eigenliebe lächerlich machen. Ein Anderer fürchtete so sehr das Ansehn, als wünsche er Eindruck zu machen, daß er seine Worte nachläßig und abschätzig fallen ließ; seine verstellte Indolenz verrieth nur einen Anspruch mehr, den, daß er keinen mache. Wenn die Eitelkeit sich zeigt, so ist sie wohlwollend; verbirgt sie sich aber, so wird sie bitter durch die Furcht vor der Entdeckung, und trägt die Gleichgültigkeit, die Sattheit, mit einem Worte, alles zur Schau, was Andere glauben machen kann, sie bedürfe ihrer nicht. Diese verschiedenen Combinationen sind höchst anmuthig für den Beobachter, und man erstaunt, warum die Eigenliebe nicht den natürlichen Weg einschlägt, den Wunsch einzugestehen, daß man gefallen möchte, und, soviel wie möglich, die Anmuth und die Wahrheit als Mittel zum Zweck zu gebrauchen.
    Der Tact, welchen der Umgang erfordert, das von ihm herbeigeführte Bedürfniß, sich der Fassungskraft der verschiedenen Geister anzuschmiegen, die große Arbeit des Gedankens in seinen Beziehungen auf Menschen, dies alles würde den Deutschen in mehr als einer Hinsicht sehr nützlich seyn; es würde ihnen Maas und Feinheit und Gewandtheit geben. Aber in diesem Talent zu schwatzen liegt immer eine gewisse Geschicklichkeit, welche sich nicht mit einer unbiegsamen Moral verträgt; denn wenn man alles, was mit der Kunst, die Menschen glimpflich zu behandeln, in Verbindung steht, vernachläßigen dürfte, so würde der Character nur um so viel mehr Größe und Energie haben.
    Die Franzosen sind die geschicktesten Diplomatiker Europa's; und eben die Menschen, die man der Unbescheidenheit und Frechheit beschuldigt, verstehn sich besser als Andere darauf, ein Geheimniß zu verbergen und diejenigen zu fangen, deren sie bedürfen. Nur dann mißfallen sie, wenn sie es darauf anlegen, d. h. wenn ihre Eitelkeit ihre Rechnung mehr bei der Abschätzigkeit als bei der Verbindlichkeit findet. Der Geist der Unterhaltung hat in den Franzosen auf eine ausgezeichnete Weise den ernsteren Geist politischer Unterhandlungen entwickelt. Kein auswärtiger Gesandter vermag in dieser Gattung mit ihnen zu ringen; es sey denn, daß er, alle Ansprüche auf Feinheit bei Seite setzend, den Dingen gerade auf den Leib geht, ungefähr wie einer, der sich schlägt, ohne fechten gelernt zu haben.
    Selbst die Beziehungen der verschiedenen Classen unter einander waren sehr geschickt, in den Franzosen den Scharfsinn, die Abgemessenheit und die

Weitere Kostenlose Bücher