Ueber Deutschland
Umfragen hat man Deputirte ihre weiße oder schwarze Kugel gegen ihre Meinung geben gesehen, bloß weil sie glaubten, die Mehrheit befinde sich auf der entgegengesetzten Bahn; sie wollten, wie sie sagten, ihre Stimme nicht verlieren.
Aus diesem gesellschaftlichen Bedürfnisse, wie alle Uebrigen zu denken, kann man sich den Gegensatz des Muths im Kriege zur Feigheit in der bürgerlichen Laufbahn während der Revolution erklären. Ueber den militärischen Muth giebt es nur eine Ansicht; aber in Beziehung auf das Betragen in politischen Angelegenheiten kann die öffentliche Meinung irre geleitet werden. Der Tadel unserer Umgebung, die Vereinzelung und die Verlassenheit bedrohen uns, wenn wir nicht der herrschenden Parthei folgen, während man bei den Armeen nur die Wahl zwischen Tod und glücklichem Erfolg hat: eine herrliche Lage für Franzosen, welche jenen nicht fürchten, und diesen über Alles lieben. Macht die Gefahr zur Mode, d. h. wendet ihr allen Beifall zu, und ihr werdet sehen, wie der Franzose ihr unter allen Gestalten trotzt. Der Geist der Gesellschaftlichkeit geht in Frankreich von dem höchsten Range bis zum niedrigsten; man muß vor allen Dingen die Billigung seiner Umgebung haben; um keinen Preis will man sich dem Tadel oder dem Gelächter aussetzen. Denn in einem Lande, wo das Schwatzen so großen Einfluß hat, betäubt der Lärm der Worte oft die Stimme des Gewissens.
Man kennt die Geschichte eines Mannes, welcher eine Schauspielerin, die er so eben gehört hatte, mit Entzücken zu loben begann. Als er auf den Lippen der Umstehenden ein Lächeln bemerkte, mäßigte er sein Lob. Das Lächeln dauerte fort, und die Furcht vor dem Spott nahm in ihm so zu, daß er mit den Worten endigte: bei Gott, die arme Frau hat gethan, was in ihren Kräften stand. Die Triumphe der Spötterei erneuern sich unaufhörlich in Frankreich; bald muß man religiös seyn, bald schickt es sich nicht, es zu seyn; bald muß man seine Frau lieben, bald sich nicht an ihrer Seite sehen lassen. Es hat Augenblicke gegeben, wo man fürchtete, für einfältig zu gelten, wenn man menschlich gefühlt hätte; und diese tiefe Furcht vor dem Lächerlichen, die in den ersten Classen sich gewöhnlich durch die Eitelkeit offenbart, hat sich in den untersten oft als Verwilderung ausgedrückt.
Wie viel Schaden würde dieser Nachahmungsgeist den Deutschen zufügen! Ihre Ueberlegenheit besteht in der Unabhängigkeit des Geistes, in der Liebe zur Zurückgezogenheit, in einer eigenthümlichen Originalität. Die Franzosen sind nur in Masse allmächtig, und selbst ihre Männer von Genie nehmen ihren Stützpunkt immer in den hergebrachten Meinungen, wenn sie sich über dieselben hinausschwingen wollen. Die Ungeduld des französischen Charakters, die im Umgange so anziehend ist, würde den Deutschen den Hauptreiz ihrer natürlichen Einbildungskraft, dieses ruhige Grübeln, diesen tiefen Blick, rauben, der, um alles zu entdecken, nur der Zeit und der Beharrlichkeit bedarf.
Eigenschaften dieser Art sind unverträglich mit Lebendigkeit des Geistes; und doch ist es diese Lebendigkeit, was in der Unterhaltung liebenswürdig macht. Wenn eine Erörterung schwerfällig wird, wenn eine Erzählung sich dehnt: so wird uns dabei eben so zu Muthe, als wenn ein Musiker den Takt der Gesangsweise zu sehr zurückhält. Man kann indeß durch Lebendigkeit eben so ermüdend werden, als man es durch große Langsamkeit wird. Ich habe einen Mann von viel Geist gekannt, welcher dergestalt ungeduldig war, daß er Allen, die mit ihm sprachen, dieselbe Unruhe verursachte, welche weitschweifige Menschen empfinden müssen, wenn sie bemerken, wie sehr sie ermüden. Während man mit ihm sprach, rückte er auf dem Stuhle hin und her, vollendete die Phrasen Anderer aus Furcht, daß sie sich zu sehr verlängern möchten, beunruhigte erst und ermüdete zuletzt, indem er betäubte; denn, wie schnell man auch in der Unterhaltung vorschreiten mag, wenn man selbst das Nothwendige beschränken muß, so quälen Gedanken und Empfindungen aus Mangel an Zeit, sie auszudrücken.
Nicht alle Manieren, die Zeit abzukürzen, ersparen Zeit, und man kann durch eine einzige Phrase langweilig werden, wenn man darin eine Leere läßt; das Talent, seine Gedanken glänzend und schnell zu fassen, gelingt am besten in der Gesellschaft; denn hier hat man keine Zeit zu verlieren. Keine Reflexion, keine Gefälligkeit kann anmuthig machen, was es in sich nicht ist. Da muß man den Geist der Eroberung und den
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