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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Frischmuth
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um ihren Spielraum zu vergrößern. Die Tante aber meinte, in Melanies Kopf sei ihr Geld immer noch am besten angelegt. »Was du weißt, kann dir niemand mehr wegnehmen.«
    Mela hatte sich als Aushilfe in der Mensa das Geld für jene Extras verdient, die sie – im Gegensatz zur Tante – durchaus für erforderlich hielt. Auch haßte sie die von der Tante gestrickten Trachtenjacken. Zu den sozialistischen Studenten war sie mehr aus Zufall gestoßen. Einer hatte sie daraufhin angeredet, ob sie bei einem Club-Fest das Buffet übernehmen könne, wo sie doch ohnehin in der Mensa arbeite. Sie hatte zugesagt und dabei den Chef kennengelernt. Es stellte sich heraus, daß er mit einem ihrer Brüder zur Schule gegangen war.
    Gewissenhaft bis zur Geizaufgabe, wie die Tante war, hatte sie, schon als das Kind Melanie zu ihr kam, ein Testament aufgesetzt, und als sie dann plötzlich an einem Schlaganfall starb – sie hatte sich noch furchtbar über einen momentanenZinsabfall ärgern müssen –, kam das ganze schöne Geld zum Vorschein, mit dem Mela ihren Spielraum um das SPANFERKEL hat erweitern können.
    Von ihren Brüdern hört Mela nur wenig. Hin und wieder kommt einer von ihnen, wenn er in der Hauptstadt zu tun hat, bei ihr vorbei. Aber sie schätzt es nicht sehr, sich jedes Mal erklären lassen zu müssen, daß sie, die Kleine, wie sie seit jeher zu ihr sagen, das große Los gezogen habe. Während sich ihre, die Angelegenheiten der Brüder noch immer nicht entwirrt hätten.
    An die Mutter erinnert sich Mela nur mehr als ausgemergelte, dem Alter zu früh anheimgefallene Person, die ihrer Söhne nicht Herr wurde und ihr immer nur riet, sich einmal nichts gefallen zu lassen. »Du siehst ja, wohin das führt.«
    Vom Land ist Mela nur das zeitige Aufwachen geblieben. Im Frühsommer schleicht sie morgens oft auf den Balkon hinaus. Es ist ein kleiner Balkon, und er schaut in den Innenhof. Sie hat ihn vollgestellt mit Topfpflanzen und Küchenkräutern, so daß kein Stuhl darauf Platz fände. Gähnend steht sie vor der ankommenden Sonne und zupft die gelben Blätter von ihren Gewächsen. Wenn der erste Strahl sie voll trifft, schließt sie die Augen und hält ihm eine Weile das Gesicht hin. Dann geht sie ins Bett zurück, um den Morgen noch einmal zu überschlafen.
    Manchmal erscheint Mela der Vater im Traum, während sie im Wachen nur ungern an ihn denkt. Sein Tod war anachronistisch, ein Wildschwein muß ihn furchtbar zugerichtet haben. Eingeweide, Geschlechtsteile, alles in Fetzen. Aber angeblich war niemand in der Nähe gewesen, und als man ihn fand, war er bereits verblutet. Nur sein Hund leckte geduldig an ihm.
    Mela kann sich noch an sein im Tode eingefallenes Gesicht erinnern, wie es zwischen Blumen und Kerzen in einem etwashochgestellten Sarg aufgebahrt lag. Er war der erste Tote, den sie von Angesicht zu Angesicht gesehen hatte.

    Melas Liebhaber, der junge Mann, hat Flügel an den Füßen, wenn es ums Ausbuchten seiner Erlebnisgrenzen geht. Sein momentanes Neuland sind Melas Großzügigkeit – was ihrer beider Gefühl angeht – und ihre enorme Diskretion der Welt und den Menschen gegenüber.
    Wie eine Rose von Jericho mit der Trockenheit als Überlebensprinzip ist er jahrelang als dürre Kugel zwischen den Menschen hin und her gerollt, um sich beim ersten warmen Regen von Melas Zuneigung zu strecken und zu dehnen. Er wächst unter ihren Händen und hat, wie er vermutet, seinen vollen Umfang noch gar nicht erreicht.
    Fast täglich kommt er auf einen Sprung ins SPANFERKEL, und sei es nur, um ein paar Worte zu wechseln, unverfängliche – Mela besteht auf Wahrung der Intimität –, und ihm kann das nur recht sein. Nicht daß er ein Heuchler wäre – er hat nun einmal Frau und Kinder –, aber in gewissen Situationen wird auch er erpreßbar.
    Es geht nicht um gewaltsame Geheimhaltung, aber sie arrangieren ihre Treffen unauffällig und bei weitem nicht so oft, wie es seinem gesteigerten Bedürfnis entspräche. Je höher die Position, desto weniger Zeit steht zur Verfügung. Manchmal muß es ihm genug sein, einmal am Tag von ihr gesehen zu werden.
    Es macht ihm gar nichts, zu wissen, daß der Chef noch immer bei Mela verkehrt. Das gibt der Sache einen familiären Anstrich und ihm das vage Gefühl dazuzugehören. Daß Mela nie ein Wort darüber verliert, ist wie eine Garantie, daß sie Beziehungen dieser Art – und damit meint er auch sein Verhältniszu ihr – gewachsen ist. Das beruhigt ihn so sehr, daß er ihr

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