Ueber die Verhaeltnisse
versorgt.
Als Frô klein war, hatte sie ein Kindermädchen, das aber nicht bei ihnen schlief. Wenn sie nachts aufwachte und Angst hatte, ging sie zu Melas Schlafzimmer, und je nachdem, ob die Tür offen oder verschlossen war, durfte sie entweder zu ihr ins Bett, oder sie mußte klopfen, und Mela kam nach einer Weile heraus, brachte sie in ihr Zimmer zurück und legte sich wohl auch, wenn sie nicht anders zu beruhigen war, eine Weile zu ihr. Wenn Frô dann morgens erwachte, war sie wieder allein.
Als Frô bereits zur Schule ging, blieben abends abwechselnd die Kinder von Borisch bei ihr, um sich ein Taschengeld zu verdienen. Anfangs spielten sie noch manchmal mit ihr, aber dann sahen sie nur mehr fern, telefonierten oder lernten für die Schule. Während die Buben sich nicht viel um Frô kümmerten, pflegte Borischs Tochter ihren Schrank nachSchokolade oder sonstigen Süßigkeiten zu durchwühlen. Sie neigte zur Dicklichkeit und war eine große Naschkatze. Wenn Frô sie bat, ihr etwas vorzulesen, nahm sie ein Buch zur Hand, erzählte ihr aber statt dessen eine schaurige Geschichte, so daß Frô sich fürchtete und sich die Ohren zuhielt.
Eines Tages ließ Borischs Tochter ihren Freund in die Wohnung heraufkommen und schloß sich mit ihm ein. Frô wollte, daß sie ihr beim Haarewaschen helfe, und klopfte, wie sie es von ihrer Mutter gewohnt war. Aber Borischs Tochter dachte nicht daran, herauszukommen, und versuchte sie einzuschüchtern, indem sie ankündigte, was sie ihr alles antun würde, wenn sie nicht sofort ins Bett gehe.
Frô brach in geräuschlose Tränen aus, wusch sich die Haare, so gut es ging, selber, und während sie auf ihrem Bett saß, fiel ihr Blick auf die angelehnte Tür. Staunend starrte sie sie an. Und dann untersuchte sie diese Tür, die ihr bisher so selbstverständlich gewesen war, daß sie sie nie wirklich bemerkt hatte. Und tatsächlich steckte ein Schlüssel darin. Er steckte schon so lange, daß er sich erst nach einigen Versuchen herumdrehen ließ, aber schließlich gelang es. Frô sperrte sich ein und öffnete nicht, als Borischs Tochter später nach ihr sehen wollte, und sie öffnete auch nicht, als ihre Mutter nachts bei ihr klopfte. »Ich schlafe schon«, murmelte sie – sie war wirklich eingenickt –, und Mela bestand auch nicht darauf, daß sie sie einließ. Frô hatte die Entdeckung gemacht, daß auch ihr eine Tür zur Verfügung stand. Sie wollte abends keinen Babysitter mehr, und in dem Maße, in dem sie mit ihrer Tür vertraut wurde, konnte sie immer mehr darauf verzichten, sie zu versperren. Sie merkte, daß es genügte, sie zu schließen.
Von da an erschien Frô das Leben der anderen Menschen manchmal wie ein Zimmer, das man von einem langen Korridoraus betritt und aus dem gelegentlich Stimmen und Licht dringen.
Demnächst würde Borisch mit Edvard, dem Monster, silberne Hochzeit feiern. Sie hat ihn immer für was Großes gehalten, einmal für einen großen Denker, dann wieder für einen großen Trinker. Sie hat nie damit gerechnet, daß sie es so lange mit ihm aushalten würde. Andererseits kann sie sich ein Leben ohne das Monster nicht mehr vorstellen. Die drei Kinder hat er ihr so knapp hintereinander gemacht, daß es eine Zeit gab, in der alle drei in den Windeln lagen.
Borisch hat sich nicht unterkriegen lassen, und das Monster war hilfreich, wenn es seinen guten Tag hatte. Sie ist ihm mehrere Male davongelaufen, da hat Edvard dann jeweils eine Anzeige in der Zeitung aufgegeben, und wenn sie wieder zurückkam, lachten die Kinder, und er weinte vor Freude. Die Freude aber mußte erst recht begossen werden.
Borisch weiß, daß Edvard sie hin und wieder betrogen hat, aber zum Glück ist sie ihm nie draufgekommen. Sie wagt es sich selber kaum auszumalen, was sie in so einem Fall mit ihm gemacht hätte. Sie weiß Edvards Intelligenz zu schätzen, und wenn er auch zeitlebens Archivar geblieben ist, kennt sie doch niemanden, weder persönlich noch aus dem Fernsehen, der so zusammenhängend und so fundiert über Vergangenes zu sprechen vermöchte. Edvard hat nie von einer möglichen Karriere geredet, sondern immer nur von dem, worauf es in Wirklichkeit ankomme, nämlich darauf, einen Blick für die Dinge zu haben, ihre Entwicklung zu beobachten und zu wissen, daß man, wenn auch namenlos, Teil einer zukünftigen Geschichte ist. Allerdings macht ihm die Entwicklung der Dinge gelegentlich solches Kopfzerbrechen, daß die Schärfe des eigenen Blicks ihm im Wege ist und er
Weitere Kostenlose Bücher